Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
bedrängte den Ritter, mehr über Heinrich zu erzählen. Schatten tanzten im Gesicht des Mädchens.
Hinter dem Zaun tastete Heinrich tief in seinen linken Ärmel. Er besaß noch immer ihr Tuch. Kein Abend verging, an dem er es nicht hervorholte und für Clara betete.
Tränen traten ihm in die Augen, als er hinter der Bretterwand stand und die Geschichte seines eigenen Schicksals hörte. Dann jedoch erfasste ihn Zorn. Begriff Ludwig denn nicht, was er Clara antat? Wenn der Erzbischof erfuhr, dass auch sie um das Geheimnis der Drei Könige wusste, dann war ihr Leben verwirkt. Er sollte einschreiten, bevor es zu spät war! Doch vermochte er nicht, hervorzutreten und sich in seiner jämmerlichen Gestalt zu erkennen zu geben! Clara vor ihm zurückschrecken zu sehen, würde ihm das Herz brechen.
Und wie anders sollte sie reagieren … Jeder fürchtete den Mönch ohne Gesicht.
Wie gebannt lauschte Heinrich den Worten seines alten Weggefährten und beobachtete Clara, die ebenso verzaubert schien. Er fühlte sich ihr so nahe wie seit ihrem Abschied in Lodi nicht mehr, indem er gemeinsam mit ihr Ludwigs Erzählung folgte. Es war wahrscheinlich das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie etwas teilten, ein letztes Mal, dass er nicht der von allen gemiedene schwarze Mönch war, sondern der junge Ritter Heinrich, der nicht begriffen hatte, um wie viel kostbarer als all seine Ideale die Liebe dieses Mädchens war.
Ludwig schonte Clara nicht. Er sprach von dem Verdacht, dass ihr Vater Zenon ermordet habe und daraufhin in den Wahn verfallen sei, ein schwarzer Mönch verfolge ihn. Er erzählte von dem Überfall der Sarazenen an der Ölpresse. Eindringlich warnte er sie vor dem Erzbischof und dessen Meuchler Ricardo. Stumm nahm Clara den Bericht über die Ermordung ihres Vaters hin. Zuletzt erzählte Ludwig von seiner ersten Liebe und warum er das Kloster verlassen hatte. Als er schließlich endete, blickte er voller Erwartung zu Clara auf. Wollte er ihre Vergebung? Oder würde er ihr zuletzt noch verraten, wer der schwarze Mönch war?
»Habt Ihr Heinrich sterben sehen?«, fragte Clara leise.
»Niemand konnte dieses Feuer überleben, Herrin.«
»Also habt Ihr nicht gesehen, wie er starb?«
»Nein, Herrin, aber …«
»Dann lebt er. Ich weiß es! Er hat versprochen, zurückzukehren und …« Ihr versagte die Stimme. Ihre Augen glänzten. »Er würde niemals seinen Eid brechen! Ohne Makel waren seine Ehre und sein Leben. Seit dem Tag, an dem ihr
Lodi verlassen habt, verbindet mich ein unsichtbares Band mit ihm, das stärker ist als jedes Ehegelübnis, und dieses Band besteht noch immer. Ich weiß, er lebt!«
Heinrich fühlte sich, als würde sein Herz in glühende Ketten geschlagen. Zugleich aber waren ihre Worte das Schönste, was er je gehört hatte. Einen qualvollen Augenblick lang wollte er aufstehen und sich ihr zu erkennen geben, aber dann besann er sich. Heinrich war tot, nur der Mönch mit der Maske war noch am Leben.
Heinrich fasste einen Entschluss. Er musste Clara retten. Nun, da sie die ganze Geschichte kannte, war auch ihr Leben nicht mehr sicher. Er sprang auf und trat an die Tür zum Stall. Clara stieß einen leisen Schrei aus, als sie ihn erblickte. Ludwig stellte sich schützend vor das Mädchen. Aus der Nähe sah er noch schmutziger und armseliger aus. »Tu ihr nichts! Ich komme mit dir, ohne Widerstand zu leisten. Bring mich zum Henker des Erzbischofs!«
»Dafür ist es zu spät, du Narr! Was glaubst du, was geschehen wird, wenn dich jemand in der Nähe des Hauses von Jacop Schnitter gesehen hat? Glaubst du denn, der Erzbischof würde lange zögern, auch sie ermorden zu lassen? Ein Verdacht würde ihm reichen! Er braucht keine Beweise! Ihr müsst fort von hier! Beide! Ich werde euch helfen.«
Ludwig starrte ihn ungläubig an. »Du willst uns helfen?«
»Ich war bei Claras Vater, als er starb. Seine letzten Worte galten seiner Tochter. Ich habe versprochen, auf sie achtzugeben, und sie wäre auch nicht in Gefahr, wenn du nicht zu ihr gekommen wärst!« Heinrich spürte den Blick Claras auf sich. Einen Moment lang war er versucht, nach seiner Maske zu tasten, um sicher zu sein, dass sie sich nicht verschoben hatte.
»Ihr wart bei meinem Vater?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit«, unterbrach sie Heinrich barsch. Selbst seine Stimme hatte sich verändert. So bestand nicht die geringste Gefahr, von ihr erkannt zu werden, und doch meinte er zu spüren, dass Clara ahnte, wer vor ihr stand.
»Es gibt keinen Ort,
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