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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Die Decke der riesigen Haupthalle verlor sich jedoch in Dunkelheit. Der Duft kalten Weihrauchs hing in der Luft. Leise knisterten die alten Fahnen, die man dem Hauptschiff entlang aufgehängt hatte. Trophäen längst vergangener Siege der Cölner Erzbischöfe. Heinrich spürte einen Luftzug. Misstrauisch sah er sich um. Alles war ruhig.
    Hinter dem Hochaltar erhoben sich die Särge der Drei Könige auf einem hölzernen Gerüst, so dass jeder sie morgen bei der Messe im Dom gut sehen konnte. Über ihnen hing ein mehrstufiger Leuchter von der Decke, der größer als ein Karrenrad war. Zum Fest hatte man ihn mit neuen Kerzen bestückt.
    Heinrich ging zu den prächtigen Lehnstühlen, die etwas abseits des Hochaltars standen. Vermutlich waren sie für den Kaiser und die anderen hohen Würdenträger gedacht, die morgen der Zeremonie beiwohnen würden. Er nahm einen der Stühle und trug ihn zu den Königssärgen. Dann winkte er Ludwig heran.
    Gemeinsam untersuchten sie die drei Sarkophage. Sie waren aus dunklem Holz gefertigt und mit reichem Schnitzwerk geschmückt. Man hatte sogar kleine Bilder der Könige in die Sargdeckel eingearbeitet. Der mittlere zeigte einen bärtigen, alten Mann. Entlang des Sargdeckels waren mehrere Siegel angebracht. Heinrich zog den Dolch, den er
stets unter seinem Gewand verbarg, und durchschnitt das zähe Wachs. Mit Ludwigs Hilfe entfernte er den schweren Deckel. Dann schoben sie den Stuhl heran, damit Heinrich besser in das Innere des Sargs sehen konnte. Auch Clara war näher getreten und reckte neugierig den Hals. Sie sah besorgt aus, blieb aber stumm.
    Fasziniert blickte Heinrich in das bärtige Antlitz. Wer war dieser Mann einst? Und wie hatte er zu Anno gesprochen? Heinrich streifte den Handschuh von seiner Rechten und tastete vorsichtig über das Gesicht des falschen Heiligen. Unter dem Bart fühlte er etwas. Man hatte das Kinn des Toten mit einer Binde aus frischem Leinentuch abgestützt, so wie man es auch bei ganz gewöhnlichen Leichen tat. Heinrich hob den Dolch und durchtrennte das Tuch mit einem raschen Schnitt.
    »Was tust du da?«, zischte Ludwig aufgeregt.
    »Ich versuche, einen Toten zum Sprechen zu bringen.«
    Vorsichtig klappte er den Unterkiefer des Leichnams herab. Schweiß perlte ihm von der Stirn. »Hol eine Kerze, schnell!« Undeutlich konnte er einen winzigen, matt schimmernden Gegenstand im Mund des Königs erkennen. Vorsichtig holte er ihn hervor. Es war ein dünnes Stück Blei, das man aufgerollt hatte. Schriftzeichen waren in die angelaufene Oberfläche graviert. Aber es waren griechische Buchstaben. Er würde die Botschaft des falschen Königs nicht lesen können!
    Mit einem dumpfen Schlag schloss sich eine Tür. Erschrocken fuhr Heinrich herum. Ein neuerlicher Luftzug ließ die alten Fahnen knistern. Die Kerzen im langen Kirchenschiff flackerten auf. Einige erloschen. Hastig legte er die winzige Bleiplatte in den Mund des Königs zurück. Argwöhnisch
blickte er den Mittelgang des Kirchenschiffs hinauf. Niemand war zu sehen. Vorsichtig schob Heinrich den Kiefer des Toten zurück.
    Schritte von genagelten Stiefeln hallten durch die Stille. »Sei gegrüßt, schwarzer Mönch!«
    Mit einem Satz sprang Heinrich vom Stuhl und kauerte sich hinter den Sarg. Das war Ricardos Stimme! Wie in drei Teufels Namen hatte er sie hier gefunden?
    Der Söldner musste stehen geblieben sein. Kein Geräusch war mehr zu hören. Heinrich gab Clara und Ludwig ein Zeichen, sich hinter den Särgen zu verstecken. »Bleibt hier!« flüsterte er dann.
    »Aber wir sind doch in Gottes Haus. Was sollte er uns tun?«, fragte Clara ihn voller Angst.
    »Der Gottesfriede gilt für ihn nicht. Bleibt hier, ich muss ihn finden.«
    »Ich begleite dich!«, erwiderte Ludwig entschieden.
    Heinrich reichte seinem ehemaligen Gefährten seinen Dolch. »Wenn sich Ricardo bewegt, werden wir es hören. Auf dem Steinboden hallen seine schweren Sohlen wie Trommelschlag. Uns jedoch wird er kaum hören.«
    Ludwig nickte und nahm die Waffe. Geduckt liefen die beiden zur südlichen Vorhalle. Von dort war die Stimme erklungen. Die Mauerbögen zum Seitenschiff als Deckung nutzend, eilten sie voran. Heinrich ballte die Fäuste, und Klingen schnitten durch seinen linken Handschuh. Ricardo musste jetzt unmittelbar vor ihnen sein. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
    Heinrich gab Ludwig einen Wink. Gemeinsam stürmten sie in das Seitenschiff, dort, wo sich die Tür zur Vorhalle befand, und blieben wie erstarrt stehen.

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