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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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dies nur Maskerade?
    »Für den Kaiser«, flüsterte Heinrich. Wenn er je zur neuen Ritterschaft der Templer gehören wollte, dann musste er diesen Weg bis zu Ende gehen. Ohne eine Empfehlung des Erzbischofs würde er die Ketten, die ihn an seine Familie fesselten, nicht zerreißen können.
    »Ich habe dich nicht verstanden, Heinrich«, sagte von Dassel durchdringend.
    »Für den Kaiser!«, schrie der Ritter. Im selben Moment begannen die Glocken einer nahen Kirche zu läuten. Ein zweiter Turm antwortete. Und noch einer. War dies der Auftakt zum Jüngsten Gericht?

    »Die Kathedrale!«, rief Ludwig, der noch immer bei den Pferden stand. »Der Glockenturm der Kathedrale brennt! Himmelhohe Flammen schlagen aus den Fenstern!«
    Voller Entsetzen sah Heinrich das brennende Gotteshaus. Wer tat so etwas? Hier wüteten doch keine Heiden! Sie alle waren Ritter der Christenheit!
    Rainald von Dassel verschwand ohne ein Wort wieder in der Kirche. Wie konnte er völlig teilnahmslos bleiben, während das prächtigste Gotteshaus der Lombardei in Flammen stand? Als Mann Gottes hätte er empört aufschreien müssen, dachte Heinrich. Er hätte sich den Plünderern entgegenwerfen müssen. Gewiss, ihre Mission war wichtig und duldete keine Verzögerung. Das sah Heinrich ein. Und doch … Hätte der Erzbischof nicht wenigstens ein Wort des Bedauerns sprechen können? Betroffenheit zeigen, über diesen schwarzen Tag des Christentums. Aber regierte in Mailand überhaupt noch Gottes Wille? Oder waren sie alle zu Handlangern Satans geworden?
    Anno und der Erzbischof brachten den zweiten Sarg zum Wagen. Ludwig hatte sich zu Heinrich gesellt. »Was ist geschehen?«
    »Ein Priester … Der Erzbischof hat …« Heinrich brachte kein Wort mehr heraus. Der Rauch brannte in seiner Kehle. Wind war aufgekommen und trieb große schwarze Rußflocken wie schwarzen Schnee vor sich her. Als der Ritter sich aufrichtete, erschienen ihm seine Glieder schwer wie Blei. Er ging ein paar Schritte fort von dem Karren. Bisher war ihm gar nicht aufgefallen, wie viele Tote auf dem Kirchplatz lagen. Sechs oder sieben … Männer, Frauen und Kinder. Man hatte ihnen die Kleider vom Leib gerissen und sie für die Krähen liegen gelassen. Der Ritter sah zum Glockenturm
der Kathedrale. Der Wind fachte die Flammen an. War dies das Ende der Welt?
    »Heinrich?« Die Stimme war so leise, dass der Ritter sie fast nicht gehört hätte. Einer der Toten hob den Kopf. Eine ausgezehrte Gestalt, den Körper mit schwärenden Wunden bedeckt. Das Gesicht war eine Maske aus Schmutz, aus der fiebrig glänzende Augen starrten. »Heinrich?«
    »Wer …« Dem Ritter stockte die Stimme, als er sah, was man der Jammergestalt angetan hatte. Dort, wo Hände und Füße hätten sein sollen, waren nur noch rot entzündete Stümpfe.
    »Heinrich!« Der Verstümmelte stützte sich auf seine Ellbogen und rutschte über das blutbesudelte Pflaster auf ihn zu.
    Der Ritter wich erschrocken zurück. War eine der gemarterten Seelen der Hölle an diesen Ort emporgestiegen, um ihn in die Verdammnis hinabzurufen?
    »Erkennst du mich nicht? Ich bin es … Rother!«
    »Du …« Heinrich kniete neben dem Jungen nieder. Rothers Haar war so schmutzig, dass man seine Farbe nicht mehr erkennen konnte. Ein süßlicher Gestank umfing den Jungen, als habe er sich geradewegs aus einem frischen Grab erhoben.
    »Endlich seid ihr gekommen … sie zu holen … Ich habe … sie bewacht.«
    »Was hat man dir angetan?« Heinrich schloss Rother in die Arme. Heiße Tränen rannen ihm über die Wangen.
    »Ich bin ihr Wächter … der Wächter der Könige.« Rother lachte auf unheimliche Weise. »Nur um zu essen, war ich fort. Sie sprechen zu mir. Sie haben mir gesagt, dass ihr kommen werdet.« Wieder unterbrach ein halbersticktes Lachen seine Worte. »Und der Erzbischof ist ihr Kutscher.«

    Heinrich strich dem Jungen durch das strähnige Haar. Rothers Körper glühte im Fieber. »Es wird alles …« Der Ritter brach ab. Nichts wird wieder gut. Nie wieder!
    »Heinrich!«, erscholl Ludwigs Ruf vom Wagen.
    »Hörst du?«, flüsterte Rother. »Die Könige rufen uns. Du sollst an meiner Seite reiten.«
    Heinrich blickte erschüttert auf den Jungen. Die Schmerzen hatten ihm den Verstand verwirrt. Aber seine Augen leuchteten voller Glück. Der Ritter versuchte sich vorzustellen, was Rother in den letzten Wochen durchgemacht haben musste. Und er fragte sich, woher sein Gefährte die Kraft genommen hatte zu überleben.
    »Hol mein Pferd!

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