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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ist noch sehr grob.«
    »Mach weiter«, drängte Siobhan Edumbraga, die verhangenen Augen ausschließlich auf ihn gerichtet, von all dem Blut in Bann geschlagen.
    Er überarbeitete den Text beim Lesen, runzelte die Stirn über die unbeholfene Ausdrucksweise und spürte dennoch die Kraft; er wußte, daß er seine Gefühle besser vermittelte, als er es je getan hatte. Manchmal konnte er nicht verhindern, daß ihm Tränen in die Augen stiegen und daß seine Stimme zitterte.
    »Nicht aufhören«, bat Madame de Roche, als er innehielt, um sich von einem besonders ergreifenden Satz zu erholen.
    Traurigkeit und ein Verlustgefühl jenseits des melancholischen Horrors des Manuskripts überkamen ihn, als er zu den letzten Absätzen gelangte. Er hatte geschrieben, und zwar gut, und war zum Mittelpunkt dieses Kreises von Menschen geworden, die er nun zu bewundern und zu denen er aufzuschauen schien, Menschen, die ihm viel bedeuteten. Sie waren seine letzte richtige Verbindung zum gesellschaftlichen Leben, und bald würde er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit verlieren. Dieser Moment würde vorübergehen, und es war vielleicht der schönste Moment seines Lebens in letzter Zeit, der schönste Moment, seit er zugesehen hatte, wie seine Tochter geboren wurde –
    Er vermasselte den letzten Satz ging zurück las ihn noch einmal ließ die Tafel sinken ohne jedoch den Blick zu heben. Seine langen Finger zitterten.
    Madame seufzte tief. »Ach«, sagte sie. Er hob den Blick gerade genug, um zu sehen, wie sie den Kopf schüttelte. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht war eine einzige Maske der Traurigkeit. »Er war einer von uns«, fuhr sie fort. »Er war einer von uns, und wir konnten es nicht wissen. Nur Richard konnte wissen, was er durchgemacht hat.«
    Raymond Cathcart trat vor und versperrte ihm die Sicht auf Leslie Verdugo, die nicht lächelte. »Mein Gott, Fettle. Glauben Sie wirklich, daß er sie deshalb alle getötet hat?«
    Richard nickte.
    »Das ist bizarr. Sie meinen, er hat es für seine Kunst getan?«
    Siobhan Edumbraga wieherte; ob es Gelächter oder Weinen war, konnte Fettle nicht erkennen, denn ihr Gesicht war starr wie eine Maske, die Augen waren verhangen, die Hände unter ihrem Kinn geballt.
    »Ich habe versucht, es nicht so unverblümt auszudrücken«, sagte Richard.
    »Nein. Man muß Verwirrung hinter Verwirrung verstecken, sage ich immer.« Cathcart umkreiste ihn. »Madame de Roche, glauben Sie diese… Geschichte von Fettle?«
    »Ich kann dieses Bedürfnis verstehen«, sagte sie, »diese Sehnsucht, seine Lebensumstände von Grund auf zu verändern, weil man sonst ersticken würde… Ich habe es selbst schon gespürt. Soweit ich Emanuel kenne, hat Richard es genau getroffen.«
    Madame tolerierte abweichende Meinungen nicht nur, sie ermutigte sie sogar, und das galt besonders für Cathcart, einen Dichter, den Richard nicht bewunderte, obwohl er ein paar Sachen geschrieben hatte, die zu lesen sich lohnte. Richard hatte das Gefühl, daß sie sich an ihn anpirschten.
    Cathcart tat Madame de Roches Unterstützung mit einem Achselzucken ab. »Ich glaube das nicht. Das ist alles fürchterlich klischeehaft, Fettle.«
    »Ich glaube es auch nicht«, sagte Edumbraga entschieden und öffnete ihre Fäuste. Thom Engles, ein Neuling in der Gruppe, kam jetzt herbei und hockte sich vor Richard auf die Fersen.
    »Es ist eine Beleidigung«, sagte er. »Es ist nicht mal gut geschrieben. Reines Bewußtseinsstrom-Melodram.
    Goldsmith ist ein Dichter, ein Mensch, ein so komplexer Charakter wie Sie oder ich. Zu töten, nur um ein bißchen poetische Einsicht zu gewinnen oder die Fesseln der Gesellschaft abzuschütteln, heißt immer noch töten, und dazu muß sich ein Mensch schon enorm verändern, falls wir alle Goldsmith nicht falsch beurteilt haben… Kann sein, daß es so ist, aber tut mir leid. Sie haben mich nicht überzeugt.«
    Richard schaute mit wundem Blick auf und merkte, daß er sich wieder wie ein Opfer benahm; er merkte auch, daß er keineswegs vorhatte, sich zu verteidigen. Das Werk mußte für sich selbst stehen; das hatte er immer gesagt, das hatte er immer geglaubt.
    Er hatte Nadine nicht hereinkommen sehen, aber jetzt stand sie hinten in der Gruppe. Sie versuchte, sich für ihn einzusetzen, und er war ihr undeutlich dankbar, aber Cathcart wehrte sie mit einem grausamen Bonmot ab. Drei Flugblattdrucker erhoben halbherzige Einwände gegen Cathcarts Kritik und machten dann ihre eigenen hilfreichen kritischen Bemerkungen, die

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