Königin der Engel
– wenn überhaupt – noch vernichtender waren; Vorschläge, die Brutalitäten zu reduzieren und die lehrreichen Aspekte hervorzuheben. Madame ließ sie reden.
+ Sie weiß nicht was sie da abtöten.
Nach einer Weile stand Richard auf, die Blätter und die Tafel in einer langfingrigen Hand, nickte ihnen allen zu und dankte der Gruppe, nahm Madames Hand, schüttelte sie und ging hinaus. Nadine folgte ihm.
»Warum hast du’s ihnen vorgelesen?« fragte sie und hängte sich in seinen langen Arm ein. »Es ist noch nicht fertig. Du weißt das.«
Verwirrung. Ja, warum eigentlich? Sofortige Befriedigung; trotz der geäußerten Vorbehalte hatte er gespürt, daß es ein Meisterwerk war, bereits fertig und vollendet. Warum war er also enttäuscht? »Ich muß jetzt gehen«, sagte er leise.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Richard?« fragte Nadine. Er sah sie an, ein verletzter Adler, und nickte. Ließ sie im Haus zurück und ging an dem Papagei vorbei.
»Kommen Sie wieder«, kreischte der Papagei und fand in seinen verrosteten Innereien zufällig einen Funken von Bewegung.
Er hatte keinen Autobus gerufen. Er ging leicht stolpernd nach links und immer die Straße entlang, zwei Kilometer weit, bis er aus dem Canyon heraus war und in eine Einzelhandelszone im Schatten kam.
In einem alten Einkaufszentrum an einer Ecke residierte ein alter Psychokunstsalon für Leute, die richtige Therapie bedrohlich fanden, aber das Gefühl hatten, Hilfe von außen zu brauchen; ein Laden, in dem man Kabinen mit sexuell fähigen Arbeitern namens Prosthetuten mieten konnte; ein Automatenladen für Waren des täglichen Bedarfs mit kleinen Lieferkarren, die pausenlos in die automatischen Leitspuren für den Geschäftsverkehr hinein und heraus rumpelten. An der Ecke vor diesem Zentrum des normalen Lebens erwischte Richard an einer Spontanhaltestelle einen Autobus.
Er brauchte eine zweite Meinung, obwohl er befürchtete, daß ein Besuch in der Weinstube oder im Pacific Arts Lit Parlor seinem Manuskript ein für allemal den Garaus machen würde. + Bißchen Sympathie oder Verständnis in einem der beiden Läden. Das habe ich doch wohl verdient.
Er wußte, daß er ein Riesendummkopf gewesen war. Ein Mönch, der nach vielen Jahren des Zölibats aus dem Kloster herauskam und eine neue Liebschaft anfing, ein unbeholfener Tölpel mit Wurstfingern, der sich als Schriftsteller an einem unlösbaren Thema die Zähne ausbiß, der so vermessen war, sich vorstellen zu wollen, was in Emanuel Goldsmith vorging, als er das allergrößte Rätsel war – ein Mensch, der abgrundtief böse ist.
Er hob die hastig zusammengerafften, durcheinandergeratenen Blätter hoch und erwog, sie auf den Boden des Busses zu werfen und zu vergessen, fuhr mit dem Finger über ein paar Seiten breitete sie aus las sie noch einmal sah hier und dort etwas ansatzweise Gelungenes im Schlamm der Unfähigkeit aufblitzen.
+ Keine totale Pleite. Ein paar Sachen retten und dann kürzen. Kann ja nicht erwarten beim ersten Entwurf gleich alles richtig hinzukriegen. Töricht. Ich brauche Rat und nicht bloß plumpe Verdammung.
Er schaute kopfschüttelnd aus dem Fenster und lächelte. Das Innenleben eines Schriftstellers war schon einzigartig. Immer töricht immer optimistisch. Die Leute im Literatursalon waren vielleicht wirklich besser als Madames Gruppe. Besonders Jacob Welsh; ein komischer Typ, aber präzise in seiner Kritik, niemals grausam; das überließ er seiner Antimaterie Yermak. Vielleicht war Yermak gar nicht da, obwohl sie selten einzeln kamen.
Der Bus hielt einen Block hinter der Weinstube und dem Lit Parlor, und er stand unter dem kühlen Fransenvorhanghimmel und betrachte einen goldenen Strahl reflektierten Sonnenlichts, der quer über den Boulevard fiel. Er blinzelte zur Mauer der Combs und der einzelnen Spiegelscheibe hinüber, die in dieser Mauer sonnenhell glühte und direkt auf ihn gerichtet war, und sah sich plötzlich selbst, wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht, das zu einem Leben im Bau verurteilt war. So verloren und ahnungslos in bezug auf die Kräfte, die ihn antrieben, hochgestimmt nur im Suff seiner Blindheit; Nüchternheit brachte trübe Klarsicht und Schmerzen. Es juckte ihn in den Fingern, das festzuhalten, aber er schüttelte erneut den Kopf und grinste über die solide Verankerung dieses neuen Drangs zu schreiben.
Die Leute im Literatursalon konnten ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Diesmal würde er vorbereitet sein, anders als bei Madame de
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