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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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die wir Ihrer Meinung nach hätten stellen sollen?«
    Nachdenklicher Gesichtsausdruck. »Sie haben nicht gefragt, woran während der Ermordung der Freunde dachte«, sagte er.
    (»Hast du das mitgekriegt?« fragte Martin Carol im Beobachtungsraum.
    »Er hat schon wieder das Personalpronomen weggelassen«, antwortete Carol.
    »Verdammt nochmal, er gibt nichts zu, nicht wirklich«, sagte Martin. »Wo ist Albigoni? Er sollte um neun Uhr hier sein.«)
    »Woran haben Sie gedacht?« fragte Margery.
    »Sie wollten nicht sehen, wie wirklich bin. Sie wollten jemand anderen. Verstehe das nicht, aber es ist wahr. Verteidigung. Sie wollten töten.«
    »Haben Sie sie deshalb umgebracht?«
    Goldsmith schüttelte störrisch den Kopf. »Warum laßt ihr mich jetzt nicht einfach einschlafen und fangt an?«
    »Wir haben noch fünfzig Minuten«, sagte Margery. »Es läuft alles genau nach Plan. Gibt es noch etwas, das Sie uns erzählen möchten?«
    »Ich möchte Ihnen gern erzählen, wie gräßlich das ist«, sagte Goldsmith. »Ich habe jetzt nicht einmal mehr das Gefühl, lebendig zu sein. Ich empfinde keine Schuld, und ich fühle mich nicht verantwortlich. Ich habe versucht, Gedichte zu schreiben, während ich hier drin festsaß, und ich kann es nicht. Ich bin innerlich tot. Ist das Reue? Sie sind Psychologen. Können Sie mir sagen, was ich fühle?«
    »Noch nicht«, sagte Erwin.
    Lascal stand in der Ecke und sah schweigend zu. Er hielt das Kinn in einer gewölbten Hand; der Ellbogen ruhte in der anderen.
    »Sie haben mich gefragt, wer ich bin. Nun, ich werde Ihnen sagen, was ich nicht bin. Ich bin jetzt nicht einmal mehr ein Mensch. Ich habe keinen Orientierungssinn mehr. Ich habe alles verpfuscht. Alles ist grau.«
    »Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man unter starkem Streß steht…« begann Margery.
    »Aber ich bin jetzt nicht in Gefahr. Ich vertraue Tom. Ich vertraue euch. Er hätte euch nicht engagiert, wenn ihr nicht gut wärt.«
    Erwin verbeugte sich mit professioneller Bescheidenheit. »Vielen Dank.«
    Goldsmith sah sich in dem Zimmer um. »Ich sitze jetzt seit über einem Tag hier drin fest, und es ist mir im Grunde genommen egal. Ich könnte für immer hierbleiben, und es würde mir nichts ausmachen. Werde ich bestraft? Bekomme ich Depressionen?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Erwin. »Aber…«
    Goldsmith hob die Hand und beugte sich vor, als ob er ihm etwas anvertrauen wollte. »Habe sie getötet. Verdiene eine Strafe. Nicht bloß das hier. Etwas viel Schlimmeres. Hätte zu den Selektoren gehen sollen. Ich war immer einer Meinung mit John Yardley. Was würde er jetzt tun? Wenn er ein Freund wäre, würde er mich bestrafen.« Goldsmiths Stimme wurde weder lauter noch höher.
    (»Affektarmut.« Martin nuschelte, weil er sich mit zwei Fingern auf die Lippen tippte, während er das Wort aussprach. Er nahm die Finger weg. »Das wär’s im Moment. Sie können sich zurückziehen.«)
    In Goldsmiths Zimmer leuchtete eine Signallampe auf. Margery und Erwin verabschiedeten sich von Goldsmith, klappten ihre Tafeln zu und gingen durch die offene Tür hinaus. Lascal folgte ihnen.
    Martin und Carol beobachteten Goldsmith noch einen Augenblick lang, als er wieder allein war. Er saß auf dem Bett, die Hände um den Rand der Matratze geklammert; eine Hand drückte langsam zu und ließ wieder los. Dann stand er auf und begann Gymnastik zu machen.
    Carol drehte sich auf ihrem Stuhl zu Martin herum. »Irgendwelche Anhaltspunkte?«
    Martin machte ein skeptisches Gesicht. »Jede Menge Anhaltspunkte, aber sie widersprechen sich. Unser Handicap ist, daß wir bis jetzt noch keine Massenmörder erforscht haben. Ich weiß, daß die Affektarmut etwas zu bedeuten hat. Mich verblüfft seine Bereitschaft, seine Beteiligung an den Morden zuzugeben, dabei jedoch die Benutzung der ersten Person Singular zu vermeiden. Das könnte ein schützendes Ausweichmanöver sein.«
    »Klingt nicht gerade wie eine sehr präzise Diagnose«, sagte Carol. Lascal, Margery und Erwin kamen in den Beobachtungsraum. Erwin legte seine Tafel auf den Schreibtisch und reckte mit einem tiefen Seufzer die Arme in die Höhe. Lascal wirkte, als ob er sich nicht wohl fühlte, sagte jedoch nichts. Er verschränkte die Arme und blieb an der Tür stehen.
    »Er ist ein Eisberg«, sagte Erwin. »Wenn ich gerade acht Menschen ermordet hätte, wäre ich uno pico durch den Wind. Der Mann ist von tiefem, arktischem Eis bedeckt.«
    Margery stimmte ihm zu. Sie zog ihren Laborkittel aus und setzte

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