Königin der Engel
von dir.«
+ In meiner Wohnung. Bloß ich. Sie. Sie hat mich was gefragt.
»Was willst du wissen?« fragte er.
»Erzähl mir was über die Zeit, als du verheiratet warst.«
Er beugte sich auf der Couch vor. Seine steifen Muskeln protestierten. Er hatte seit dem Frühstück dort gesessen, fünfundvierzig Minuten lang, ohne sich zu bewegen. »Laß uns das LitVid einschalten«, sagte er.
»Bitte erzähl’s mir. Ich möchte dir gern helfen.«
»Nadine«, sagte er müde, »es ist alles in Ordnung. Warum läßt du mich nicht einfach allein.«
Sie blies die Lippen auf, schüttelte den Kopf und tat so, als ob sie verletzt sei, wollte aber nicht aufgeben. »Du bist in Schwierigkeiten. Das alles hat dich ziemlich mitgenommen, und ich weiß, wie das ist. Es ist nicht gut, allein zu sein, wenn man in Schwierigkeiten ist.«
+ Alles um das zu vermeiden.
Er streckte die Hand nach ihr aus und versuchte, ihre Brust zu streicheln, aber sie entzog sich ihm geschickt und setzte sich in den kaputten Sessel gegenüber von der Couch, außer Reichweite. »Es tut dir bestimmt gut, wenn du redest. Ich weiß, daß du kein schlechter Mensch bist. Du bist nur sehr durcheinander. Wenn ich durcheinander bin, helfen mir meine Freunde manchmal, die Sache durchzusprechen…«
»Ich bin arbeitslos, untherapiert, unveröffentlicht, ich werde alt und ich habe dich«, sagte er. »Also?«
Sie ignorierte seine Bitterkeit. »Du warst mal verheiratet. Das hat mir Madame de Roche erzählt.«
Er musterte sie eingehend. Wenn er jetzt einen Satz nach vorn machte, konnte er sie erwischen. Und was würde er dann tun? Er merkte, wie seine Gedanken verschwammen und dann wieder klarer wurden, wie ein schlechtes Signal. Bruchstücke aus Goldsmiths Gedichten erklangen wie von selbst, mit Goldsmiths Stimme. Die Stimme war erheblich hypnotischer als seine eigene.
+ Ich bin ein einfacher Mensch. Einfache Menschen gehen jetzt unter.
»Wie hieß sie? Bist du geschieden?«
»Ja. Geschieden.«
»Erzähl mir davon.«
Er kniff die Augen zusammen. Goldsmiths Stimme wurde leiser. Wenn er eins nicht wollte, dann war es, an Gina und Dione zu denken. Er hatte diesen Kummer vor Jahren begraben.
»Rede mit mir. Das ist es, was du brauchst, Richard.« Ein Anflug von Triumph. Sie war jetzt voll dabei. Ihre Wangen röteten sich unter Augenbrauen, die in übertriebener Ehrlichkeit schiefgestellt waren.
»Nadine, bitte. Das ist ein sehr unerfreuliches Thema.«
Sie reckte das Kinn, und ihre Augen leuchteten auf. »Ich würd’s gern wissen. Ich möchte dir zuhören.«
Richard hob den Blick zur Decke und schluckte schwer. Die Gedichte verklangen; das war gut, immerhin. Vielleicht war etwas dran an dem, was sie sagte. Die Redekur.
»Du versuchst mich zu therapieren«, sagte er kopfschüttelnd und lachte in sich hinein. Mit dem Lachen kamen die Gedichte wieder; er hatte diesen Trick abgewehrt, Nadine war wieder eine summende Nullität, und er konnte sie packen, wenn er wollte. Konnte sein Statement abgeben, wie Goldsmith es getan hatte. Konnte sich befreien.
Nadine schnitt ein Gesicht. »Richard, wir unterhalten uns doch bloß. Wir haben alle unsere Probleme, und ein Gespräch ist okay. Das ist keine Aufdringlichkeit.«
»Diese Art von Gespräch schon.«
»Was ist passiert? War sie so schlecht für dich?«
»Herrgott nochmal!«
Nadine biß sich auf die Unterlippe. Er sah sie mit einer strengen Miene an, wie er hoffte.
+ Ich bin ein einfacher Mensch. Siehst du nicht daß ich einfach nur auf den richtigen Moment warte.
Die Gedichte wurden erneut leiser, dann wieder lauter. Moses. Blutopfer, um den Zorn Gottes fernzuhalten. Richard hatte das einmal nachgeschlagen; Goldsmiths Interpretation dieser Geschichte war nicht orthodox. Beschneidung. Wie hieß noch gleich die Beschneidung bei Frauen: Infibulation. Klitoridektomie. + Was man als Literat so alles aufschnappt.
Er verdrängte einen höflichen Vorschlag von irgendwo tief drinnen, daß er anfangen sollte zu weinen. Seine Miene blieb unbewegt und sanft. »Wir ließen uns scheiden«, sagte er.
+ Stimmt nicht.
»Wir wollten uns scheiden lassen, meine ich«, verbesserte er sich. Weder er selbst noch derjenige, der mit Goldsmiths Gedichten sprach – wer es auch sein mochte –, legte jetzt diese Beichte ab. Jemand von früher meldete sich da zu Wort. Derjenige, der verheiratet gewesen war. + Ich dachte ich hätte ihn getötet.
»Ja?«
Wieder der Vorschlag: Darüber spricht sich’s am besten, wenn du weinst,
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