Königin der Engel
kindliche Fragerei ging weiter.
Das wird ein Ende haben, wir sind sicher; diese Schwierigkeiten sind für uns alle sehr unangenehm. Wenn doch alle in Harmonie miteinander leben könnten. Ist Madame Choy vielleicht eine noiriste, oder wie kommt es, daß sie sich ein so reizendes Design ausgesucht hat?
»Ich wollte nicht respektlos gegenüber Schwarzen sein. Ich fand dieses Design einfach attraktiv.«
Hilaire beugte sich vor und nahm eine direktere Rolle ein. »Wissen Sie, was noirism ist? Madame Yardley möchte wissen, ob Sie mit der Wahl Ihres Designs die politische Bewegung unterstützen, durch die Schwarze in aller Welt ihren Stolz wiedergewonnen haben.«
Mary dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Nein. Ich sympathisiere damit, aber die Entscheidung für dieses Design ist rein ästhetisch begründet.«
Dann ist Madame Choy vielleicht eine spirituelle noiriste, eine instinktive Unterstützerin, so wie mein Mann, Colonel Sir?
Mary räumte ein, das könne stimmen.
Madame Yardley schaute zu Soulavier hinüber und fragte ihn, ob Colonel Sir vielleicht eine neue Gestalt annehmen sollte – so daß nicht nur seine Seele, sondern auch sein Äußeres farbig wäre. Sie schien zu scherzen. Soulavier lachte und beugte sich vor, um darüber nachzudenken; er stellte den Kopf schief und tat so, als ob er ernsthaft überlegen würde. Dann schüttelte er heftig den Kopf, lehnte sich zurück und lachte erneut.
Madame Yardley schloß, indem sie für ihre äußere Erscheinung um Verzeihung bat. Sie faste, erklärte sie, und werde ihre Fastenzeit erst heute abend beenden. Sie werde ausschließlich Fruchtsäfte trinken und nur Brot, ein wenig Banane und Kartoffeln zu sich nehmen, vielleicht auch etwas Hühnerbrühe. Hilaire hielt ihr die Hand hin; Madame Yardley legte die ihre darauf, erhob sich grazil und nickte Mary und Soulavier zu.
»Darf ich zu Tisch bitten?« sagte Hilaire. »Folgen Sie uns bitte.«
Der Speisesaal war mehr als fünfzehn Meter lang. Sein Eichenparkettfußboden trug einen riesigen, rechteckigen Tisch. Stühle säumten die Wände auf allen Seiten, als ob der Tisch weggeräumt werden könnte, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Marys sensorische Betäubung verstärkte sich, als sie links von Madame Yardley vor einem eleganten, antiken Gedeck auf einer Tischdecke aus Damast Platz nahm. Eine goldene Keramikschüssel voller frischer Orchideen und Früchte – Mary erkannte Mangos, Papayas, Guaven und Karambolas – stand in der Mitte des Tisches, kleinere Nebenschüsseln jeweils einen Meter entfernt zu beiden Seiten.
Hilaire setzte sich schräg hinter seine Herrin; er würde hier nicht essen. Mary fragte sich, wann der Diener aß oder irgendwelchen anderen menschlichen Bedürfnissen nachkam, wenn er die ganze Zeit um Madame Yardley herum war.
Madame Yardley machte es sich langsam und mühevoll bequem. Ihr Gesicht spiegelte zahlreiche kleine Beschwerden, bevor sie sich wieder gefaßt hatte und bereit war, weiterzumachen. Sie verbeugte sich leicht vor Mary, als ob sie in diesem Moment erst ihre Bekanntschaft machen würde. Ihre Augen waren so groß, ihr Blick so starr. Halb verhungert. Entrückt. Madame Yardley ließ den Blick mit dem gleichen gefrorenen Lächeln um den Tisch herum schweifen und sah jeden leeren Stuhl an, als ob dort ein enger Freund säße, der ihre besondere Aufmerksamkeit verdiente.
Soulavier saß ihnen gegenüber. Auf ihm ruhte Madame Yardleys Blick weniger lange als auf einem der leeren Stühle. Sie drehte sich wieder zu Mary und fragte sie auf Französisch und Kreolisch durch ihr Sprachrohr Hilaire, ob es sich ihrer Meinung nach auf Hispaniola gut leben ließe, verglichen mit Los Angeles oder Kalifornien.
Soulavier warf Mary einen Blick zu, die Nase ein bißchen erhoben, die Augen warnend verengt. Mary versuchte, ihn zu ignorieren, aber ihre Vorsicht gewann die Oberhand. Wenn Madame Yardley so zerbrechlich war, wie es den Anschein hatte, wenn sie möglicherweise kurz davor war, in sehr schlechte Verfassung zu geraten, und ihr eigenes Eiweiß verbrannte, um am Leben zu bleiben, dann konnte Mary eine unerfreuliche Szene riskieren, indem sie ihr nicht nach dem Mund redete. Sie tastete automatisch nach der Pistole in ihrer Tasche, fand sie nicht, sah, daß Soulavier ihre Geste bemerkt hatte, und wandte sich rasch an Madame Yardley.
»Hispaniola ist eine reizende Insel. Hier ist alles noch sehr natürlich. Los Angeles ist eine große Stadt, und die Natur hat dort nur noch wenig
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