Königin der Engel
auf und schnüffelte an dem Nano darin.
»Sagen Sie ihnen, sie sollen es nicht berühren«, riet Mary. »Es könnte ihre Haut schädigen.«
Soulavier nickte und sagte etwas auf Kreolisch zu den Wachposten. Die Bulldogge verschloß die Bürste wieder mit dem Deckel und steckte sie in einen Plastikbeutel.
»Kommen Sie mit«, befahl Soulavier. Seine Nervosität schien verschwunden zu sein. Er lächelte ihr sogar zu. Als sie auf die Treppe vor dem Haupteingang des Hauses zugingen, sagte er: »Ich hoffe, Sie wissen meine Höflichkeit zu schätzen.«
»Ihre Höflichkeit?«
»Ihnen bis zum letzten Moment das Gefühl zu lassen, bewaffnet zu sein und noch einen Trumpf im Ärmel zu haben.«
»Oh.« Die reich verzierte Doppeltür aus geschnitzter Eiche öffnete sich, als sie näherkamen. Dahinter glitten Tresortüren aus Panzerstahl in Vertiefungen zurück. »Danke, Henri«, sagte sie.
»Gern geschehen. Man wird Sie noch einmal nach Waffen untersuchen, und zwar ziemlich gründlich. Ich bedaure das.«
Marys Bild von den sozialen Beziehungen geriet durcheinander; sie fühlte sich auch räumlich desorientiert. Ihr war schwindlig. »Danke für die Warnung«, sagte sie.
»Keine Ursache. Sie werden mit Colonel Sir und seiner Frau zusammentreffen. Sie werden mit ihnen zu Abend essen. Ich weiß nicht, ob ich Sie begleiten werde.«
»Wird man Sie ebenfalls nach Waffen durchsuchen, Henri?«
»Ja.« Er forschte in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Ironie, fand jedoch keine; es war nicht ironisch gemeint gewesen. Mary hatte ein intensives, rauschhaftes Gefühl von Gefahr. »Aber nicht so gründlich wie Sie«, schloß er.
Hinter den Tresortüren packten zwei Frauen in Schwarz und Rot Mary fest an den Armen und führten sie in eine Garderobe.
»Ziehen Sie sich bitte aus«, verlangte eine kleine, muskulös-plumpe Frau mit strengem Gesicht. Mary tat wie geheißen, und sie tippten ihr auf die Schultern und die Hüften und bückten sich, um ihre Haut nach verdächtigen Stellen zu untersuchen. Sie tasteten ihre graue Pofalte mit leisen Worten der Mißbilligung ab.
Doktor Sumpler wird bestimmt davon erfahren, dachte Mary und wußte nicht, ob sie lachen oder schreien sollte.
Sie drehten sie rasch um. Warme, trockene Finger.
»Sie sind nicht noir«, sagte die kleine Frau. Sie lächelte mechanisch. »Ich muß Ihre Geschlechtsteile untersuchen.«
»Sie haben doch bestimmt irgendein Gerät, einen Detektor oder so…« begann Mary, aber die Frau unterbrach ihren Protest mit einem abrupten Kopfschütteln und zog an Marys Handgelenk.
»Keine Geräte. Ihre Geschlechtsteile«, sagte sie. »Bücken Sie sich bitte.«
Mary beugte sich nach vorn. Das Blut pochte in ihrem Schädel. »Werden Dinnergäste hier immer so behandelt?«
Keine der Frauen antwortete. Die kleine Frau zog sich einen Gummihandschuh über, beschmierte einen Finger mit durchsichtigem Gel aus einer Tube und inspizierte Marys Genitalien und den Anus mit raschen, professionellen Bewegungen.
»Ziehen Sie sich bitte wieder an«, befahl sie. »Ihre Blase ist voll. Wenn Sie sich angekleidet haben, bringe ich Sie zur Toilette.«
Mary zog sich rasch an. Sie zitterte vor Wut; der alte Zorn war wieder da. Das Gefühl der Desorientierung war verschwunden. Sie hoffte, daß Yardley es irgendwie noch einmal bedauern würde, was sie gerade durchgemacht hatte.
Draußen auf dem Flur führte die kleine Frau sie zu einer Toilette auf einer Seite, wartete, bis sie sich erleichtert hatte, und eskortierte sie in eine Rotunde. Soulavier gesellte sich wieder zu ihr. Sein Gesicht war gefaßt, seine Hände waren ruhig. Sie blieben unter einem riesigen Kronleuchter stehen. Mary kannte sich mit Dekor nicht aus, vermutete jedoch einen französischen Einfluß: frühes neunzehntes Jahrhundert vielleicht. Blaugraue Wände mit weißen Verzierungen. Möbel, die eher kurios als nützlich waren, eine Atmosphäre, die von der reichen und reichlich erdrückenden Vergangenheit beherrscht wurde. Es entsprach nicht gerade dem Bild von Yardleys Haus, das ihr vermittelt worden war; sie hatte eher eine Jagdhütte oder die dunklen Töne eines englischen Arbeitszimmers vor Augen gehabt.
»Madame Yardley wird uns empfangen. Ihr Geburtsname ist Ermione LaLouche«, sagte Soulavier. Die Wachen standen befangen hinter ihnen, die kleine Frau fast an Marys Ellbogen. »Sie stammt aus Jacmel. Eine richtige Lady von unserer Insel.«
Auf Hispaniola gibt es weder Ladies noch Gentlemen, dachte Mary. Sie war nahe daran, es laut
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