Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
ihn selbst aussagte: daß er immer noch diese Kraft in sich hatte, ganz gleich, wie sehr er kompromittiert worden oder wie weit er vom richtigen Weg abgekommen war.
    Sirs Anwesenheit hatte das Bild gefrieren lassen. Eis hatte sich auf seinem Gesicht und seinen Händen gebildet.
    Martin richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die grüne, runzlige Leiche von Sir. | Du darfst überhaupt nicht hier sein, sagte er. Du hast hier keinerlei Bedeutung.
    | Nur ein kleiner Schritt über die Brücke, sagte Sir. Ich kann überall leben, wo man mich einlädt.
    Das Bild von Sir zog die Oberlippe hoch und ließ scharfe Wolfszähne sehen. Die Zähne verlängerten sich zu nadelspitzen Eckzähnen.
    Leiche mit Vampirzähnen. Geht überallhin, wohin man ihn einlädt.
    Martin wußte, was er da vor sich hatte. Er erinnerte sich an die betrunkene Zeichnung in der Prachtausgabe seines Atlasses des Gehirns. Die bluttriefenden Vampirzähne und die Pfeile, die auf verschiedene Punkte in den Geruchszentren und im oberen limbischen System zeigten. Er hatte über Vampire und Werwölfe nachgedacht, Zeichen von tiefsitzenden Inhalten, die aus der Landschaft hochkamen, wo sie Routinen repräsentierten, die mit Überleben und Gewalt verbunden waren.
    Der Komplex des Jägers. Der innere Killer, so alt wie das Rückenmark, mit dem Geruchssinn verbunden und auf der Suche nach Blut, der Herr des Kampfes oder der Flucht. In Alpträumen die dunkle, tote Bestie, die riß und zerrte, die Verteidigerin gegen alle äußeren Kräfte, die jedoch niemals selbst lebendig oder bewußt war; ohne Stimme, isoliert und verachtet.
    In Emanuel Goldsmith hatte diese Subroutine die Gestalt von Sir angenommen, dem Vater, und war jetzt mit Colonel Sir John Yardley verbunden. Sie war in der Hierarchie von einer stimmlosen Subroutine zu einer Maske der Nebenpersönlichkeit und dann zum Herrn der Landschaft und Repräsentanten von Goldsmith selbst aufgestiegen – dem Bürgermeister/König, der gestorben war.
    Die dunkle, tote Bestie hatte sprechen gelernt. Jetzt stand sie in Martins Landschaft, wo sie gar nicht sein durfte, so bösartig wie jede übertragene Krankheit.
    Martin warf einen letzten Blick auf den gefrorenen jungen Mann mit den sandfarbenen Haaren und drehte sich dann ganz zu Sir herum. Er hob die Arme und ballte die Fäuste.
    | Verdammt nochmal, sieh zu, daß du aus mir verschwindest.
    Wenn es zum Kampf kommen sollte, dachte Martin, dann konnte er zumindest ebensogut austeilen, wie er einstecken würde. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was dieser Dämon mit seiner Psyche anstellen würde, wenn er ihn nicht vertrieb. Dies war ein neues Spiel, ein neuer Kampf. Er wurde jedoch auf seinem eigenen Gebiet ausgetragen, und er hatte eine mächtige Waffe: das Bewußtsein, wer er war und was er war.
    | Ich bin viel stärker als du, sagte Sir. Du kannst überhaupt nichts gegen mich ausrichten.
    Martin hob ’die Hand und streckte einen Finger aus. Aus der Entfernung machte er einen Graben in den Straßenbelag. Der Asphalt zerriß und sank ein, wohin er auch zeigte. Er zog den Graben im Kreis um Sir herum, bis er sich hinter ihm schloß. Mit einem energischen Stoß seiner Hand in die Luft riß er einen Feuerhydranten auf der anderen Straßenseite aus dem Boden. Eine weiße Wasserfontäne schoß hoch in die Luft. Er krümmte den Finger und lenkte das Wasser damit in den Graben. Die Fontäne neigte sich wie ein schwankender Baum und kippte um, spritzte über die Straße und ergoß sich in den Graben. Der Graben füllte sich mit schlammigem Wasser.
    Sir stand eingekreist da. Das Blut an seinem Hals leuchtete hellrot auf seiner toten Haut. Seine blinden Augen blickten gelassen. Aber Martin kannte die Macht seines metaphorischen Plans an einem Ort, wo Metapher und Gleichnis alles waren. Die Duftspur unterbrechen. Wenn die dunkle Bestie fließendes Wasser nicht überqueren konnte, wenn sie ihren Weg auf die andere Seite nicht mit dem Geruchssinn finden konnte, dann hatte sie kein Territorium und keine Macht.
    Er wollte gerade die Eisenstangen der Diebstahlssicherungen aus nahegelegenen Fenstern reißen und einen Käfig bauen, da kam die Schlangenpeitsche wieder aus dem Nichts und verbiß sich in seinen Rücken, schlug ihre Metallzähne tief hinein und preßte ihm einen Schrei heraus. Sie hob Martin hoch über die Stadt und hielt ihn einen ganz kleinen Moment lang dort fest; er schaute nach unten und sah Sir inmitten des schäumenden Wassers. Er hatte die Arme verschränkt;

Weitere Kostenlose Bücher