Königin der Engel
seine blinden Augen starrten auf nichts besonderes und sahen doch alles.
Der Leichnam mit den Vampirzähnen stieg über den Graben und lachte.
Martins Schreie erfüllten den Hörsaal. Er warf sich hin und her, um sich aus den Gurten zu befreien, und starrte Margery und Erwin an, als ob sie Monster wären. Margery justierte die Einstellungen an der Couch, um einen Zustand der Ruhe zu induzieren, aber Martins Werte waren zu stark. Sie konnte seine Raserei nur ein kleines bißchen dämpfen.
»Laßt mich zurück! Er ist noch in mir drin! Oh mein Gott, laßt mich zurück!«
Erwin beugte sich über Carol und drehte an ihren Induktorreglern. Die Zeiger bewegten sich wirkungslos über die Skalen. »Sie will einfach nicht rauskommen«, sagte er.
»Ich kann Sie nicht zurückschicken, Dr. Burke«, sagte Margery. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich weiß nicht mal, wo Sie waren.« Sie warf immer wieder verzweifelte Blicke zur anderen Couch hinüber. Martin verdrehte den Kopf und sah Carol neben sich. Ihre Augen waren geschlossen; sie war im Traumschlaf versunken.
»Was ist mit ihr?« fragte er. Er zitterte immer noch, kam jedoch allmählich aus seiner Hysterie heraus.
»Ich kann sie nicht raufholen!« rief Erwin. Er schlug mit der Hand auf die Seite der Couch, ließ den Kopf sinken und stieß sich frustriert ab. »Sie reagiert nicht.«
Martin ließ sich zurücksinken, schloß die Augen und bewegte die Handgelenke. Er holte zitternd tief Luft und schaute in sich hinein, sah aber nur die leere dunkle Wand zwischen der bewußten Primärpersönlichkeit und dem, was darunter lag. Er machte die Augen wieder auf und begann zu weinen. »Bindet mich los«, sagte er schluchzend und zerrte an seinen Fesseln. »Laßt mich helfen.«
Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.
– Das Neue Testament, Römer 7,23
57
Richard Fettle fühlte sich wie eine Mumie, die nach dreitausend Jahren aus ihren Binden gewickelt wurde. Der wahrnehmbare Geruch seines Unwohlseins war verschwunden; er schaute so hingerissen in den hellen morgendlichen Sonnenschein wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.
In der Hand hielt er ein Flachbild von Gina und Dione. Seine Finger fuhren die Umrisse des Gesichts seiner Frau nach. Er ließ einen Finger langsam zum Gesicht seiner Tochter wandern, legte das Bild dann auf den Tisch und lehnte sich ins Sofa zurück.
Er hörte, wie sich Nadine im Schlafzimmer rührte. Im Bad rauschte Wasser. Sie kam in einem scheckigen Morgenmantel herein und machte ein verwirrtes, irritiertes Gesicht. Sie hatte die Haare straff zurückgekämmt und sie oben auf dem Kopf zu einer bizarren, fünfzehn Zentimeter hohen Säule zusammengebunden, einem Haarphallus. Richard lächelte sie an. »Guten Morgen«, sagte er.
Sie nickte geistesabwesend und blinzelte in die Sonne. »Was ist denn?« fragte sie. »Hast du nicht geschlafen?«
»Ich habe genug geschlafen.«
»Es ist spät. Ich hab zu lang geschlafen«, sagte sie. »Ich bin schlecht gelaunt. Haben wir noch was zum Frühstück da?«
»Weiß ich nicht«, sagte Richard. »Ich könnte ja mal nachschauen.«
»Nichts dagegen.« Sie blinzelte ihn argwöhnisch an. »Irgendwas ist doch mit dir, stimmt’s? Erzähl’s mir.«
Richard schüttelte den Kopf und lächelte wieder. »Ich fühle mich viel besser.«
»Besser?«
»Und ich möchte mich entschuldigen. Du hast mir wirklich geholfen. Ich hatte heute nacht einen Traum. Einen sehr merkwürdigen Traum.«
Ihr Argwohn verstärkte sich. »Freut mich, daß es dir besser geht.« Es klang nicht überzeugend. »Willst du Kaffee?«
»Nein danke.«
»Du solltest wirklich was essen«, sagte sie über die Schulter hinweg und tappte in die Küche.
»Ich weiß«, sagte Richard. Ihm war schon fast schwindlig vor lauter Begeisterung. Er war ein wenig besorgt, daß er das wohlige Gefühl verlieren und einen Rückfall erleiden könnte, aber seine Stimmung blieb stabil. Er stand auf, ging in die Küche und sah wie zum erstenmal den abgewetzten Fliesenboden, die dick gestrichenen Holzschränke und die alten verputzten Wände.
Nadine schälte am Waschbecken eine Mandarine und kaute jedes Stück einzeln. Sie schaute nachdenklich aus dem Fenster. »Was war das für ein Traum?« fragte sie.
»Ich habe von Emanuel geträumt«, sagte er.
»Na toll«, kommentierte sie sarkastisch.
»Mir ist wieder
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