Königin der Engel
festgehalten. Nur Vertragshäftlinge aus dem Ausland.«
»Ist ja fürchterlich«, sagte Mary.
Soulavier zuckte die Achseln. »Wenn man glaubt, daß es eine Erlösung gibt, dann sieht es vielleicht fürchterlich aus. Colonel Sir glaubt nicht an eine Erlösung in diesem Leben. Und er weiß, wenn eine Gesellschaft gesund bleiben soll, muß man jene zufriedenstellen, die ebenfalls dieser Ansicht sind… Sonst werden sie unruhig und nehmen das Recht in die eigenen Hände. Das ist Anarchie.«
Er streckte den Arm aus: Zeit, wieder zum Wagen zu gehen. Sie tat es, und Soulavier kam nach einem kurzen Wortwechsel mit den Wachposten am Eingang des Canyons zu ihr. Der Wagen fuhr langsam ins Tal.
Am Haupttor des Gefängnisses redeten sie drei Minuten lang mit den Posten, bis diese sich über ihre Identität vergewissert hatten und sie hineinfahren ließen. Im Innern hielten sie in einer gut beleuchteten Garage. Männliche und weibliche Wachen umringten den Wagen; sie zeigten mehr Neugierde als Wachsamkeit. Als Soulavier lächelnd und nickend ausstieg, erlosch ihr Interesse, und sie schlenderten davon. Nicht einmal Marys Äußeres erregte sonderlich viel Aufmerksamkeit.
Die Wachen reichten sie von einem Korridor zum anderen, von einer massiven, nackten Tür zur nächsten weiter, bis sie sich im Westflügel des Gefängnisses befanden. Mary bemerkte, daß es hier keine Fenster gab. Die kühle Luft roch muffig und abgestanden; es war ein schwacher, aber konstanter Geruch wie von etwas Altem, das irgendwo abgestellt worden war und nie benutzt wurde.
»Goldsmith ist heute in diesem Flügel. Er heißt Koffer«, erklärte Soulavier. »Hier werden die Bestrafungen ausgeführt.«
Mary nickte; sie wußte immer noch nicht recht, ob sie darauf vorbereitet war, zu sehen, was sie sehen mußte. »Warum heißt er Koffer?«
»Jeder Teil des Gefängnisses ist nach etwas benannt, was man benutzen könnte, wenn man draußen wäre. Es gibt eine Hut-Sektion, eine Schuh-Sektion, Spazierstock, Zigarette, Kaugummi und Koffer.«
Der Hauptkorridor des Koffers war in Abständen von acht Metern von starken gelben Lampen erleuchtet. Die Wärter sahen grünlich aus; ihre Augen und Zähne waren von grellem Gelb. In einem vollgestopften Büro am Ende des Hauptkorridors legte Soulavier dem Chef der Wärter ein Papier vor. Der Chef war schlank, fast elfenhaft, mit eingerollten Ohren und nach oben gewandten Augen. Er trug eine graue Uniform mit rotem Gürtel und schwarze Slipper, die kein Geräusch machten, als er durchs Büro ging. Er sah sich das Papier mit ernster Miene an, warf Mary einen Blick zu, gab es einem Untergebenen und nahm einen altmodischen elektronischen Schlüssel aus einem Kasten, der an der Wand hinter und über dem aufgeräumten Schreibtisch hing.
Im inneren Heiligtum des Koffers war es ganz still. Kein Häftling sprach. Wenige Wärter waren auf den engen Gängen zwischen den Zellen unterwegs. Tatsächlich waren nur wenige Zellen besetzt; die meisten Türen standen offen und zeigten eine gähnende Leere, als sie vorbeikamen. Der Koffer diente einem besonderen Zweck.
Am Ende eines kurzen Gangs stand ein stämmiger Wachposten mit verschränkten Armen vor einer geschlossenen Tür. Der Chef schob ihn mit einem väterlichen Lächeln beiseite, schloß die Tür auf und trat zurück.
Soulavier ging als erster hinein. Der Chef schaltete von draußen das Licht an.
Mary sah einen Schwarzen, der auf eine Liege geschnallt war. Ihr Blick zuckte sofort zu dem Zylinder der Höllenkrone, der auf ein Betonpodest neben der Pritsche geschraubt war. Kabel führten vom Zylinder zu der Klammer um den Kopf des Mannes. Das Gesicht des Mannes war angespannt, aber abgesehen davon schien er zu schlafen.
Marys Augen weiteten sich. Sie sah sich das Gesicht ganz genau an – minutenlang, wie es schien.
»Das ist nicht Emanuel Goldsmith«, sagte sie schließlich. Ihre Knie zitterten. Sie drehte sich zu Soulavier um. Ihr Gesicht war vor Empörung und Wut verzerrt. »Gott verfluche euch alle, das ist nicht Emanuel Goldsmith.«
Soulavier fiel das Kinn herunter. Er schaute von dem Mann auf der Liege zu Mary, drehte sich abrupt zum Chef der Wärter um und sagte ein paar schnelle Worte auf Kreolisch. Der Chef schaute in die Zelle und verteidigte sich energisch mit hoher Stimme. Soulavier redete weiter auf ihn ein, während sie den Gang entlang und um die Ecke gingen. Der Wachposten vor der Zelle sah ihnen nach und schaute dann seinerseits in die Zelle hinein. Er
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