Königin der Engel
Haut glänzte in dem gelben Licht, obwohl es in der Zelle und auf dem Gang draußen nicht warm war. »Colonel Sir würde seine Entlassung anordnen müssen.«
Mary hätte am liebsten losgeschrien. »Ihr foltert einen Unschuldigen! Rufen Sie Colonel Sir an und sagen Sie ihm das! Sofort!«
Soulavier wirkte wie gelähmt. Er schüttelte störrisch den Kopf. »Wir brauchen einen Beweis für Ihre Behauptung«, sagte er.
»Hatte er einen Ausweis dabei, oder irgendwelche Papiere?« fragte Mary. Soulavier leitete ihre Frage an den Chef weiter, der beredt die Schultern hob; das ging ihn nichts an.
Die Anspannung hatte ihren Bauch erreicht. Sie bemühte sich, ruhiger zu werden, und stellte sich einen langsamen Kriegstanz auf einer grünen Wiese weit weg von allem vor. »Dann bringen Sie mich lieber jetzt gleich um«, sagte sie leise und schaute Soulavier direkt in die Augen. Sie zeigte auf den Gefangenen. »Und ihn auch. Was ihr hier getan habt, ist nämlich so schlimm, daß es nicht einmal die miesesten Staaten der Erde hinnehmen werden. Wenn ihr mich lebend in die USA zurückkehren laßt, wird meine Geschichte Colonel Sir, seiner Regierung und Hispaniola mit Gewißheit schaden. Wenn Sie Ihrem Führer oder Ihrem Volk gegenüber auch nur die geringste Loyalität empfinden, dann lassen Sie diesen Mann jetzt frei.«
Soulavier ließ die Schultern hängen. Er rieb sich mit der Hand über das feuchte Gesicht. »Ich habe nicht geglaubt, daß es einen Irrtum geben könnte«, sagte er.
Sein Blick schweifte durch die Zelle und huschte über die Einzelheiten hinweg, und seine Lippen bewegten sich, als ob er ein lautloses Gebet aufsagte. »Ich werde seine Einlieferung ins Krankenhaus anordnen. Und ich nehme es auf meine eigene Kappe.«
Mary nickte. Sie schaute ihm immer noch in die Augen. »Danke«, sagte sie. Es war ihr egal, wie es gemacht wurde, aber sie fragte sich, ob sie Soulavier durch ihr Vorgehen jetzt selbst zum Aufenthalt in einer solchen Zelle verurteilt hatte.
Auf dem Hauptkorridor folgte Mary der Mulattin und zwei Wärtern, die den Gefangenen auf einer Bahre trugen, während Soulavier hinterdrein ging. Sie versuchte, ihre Nerven, ihre Angst und ihre Empörung unter Kontrolle zu bekommen, aber es gelang ihr nicht. Sie begann zu zittern, so daß sie stehenbleiben und sich an eine Wand lehnen mußte. Ihr Entsetzen über die Höllenkrone hatte sich nicht verringert.
Soulavier wartete ein paar Schritte hinter ihr. Er starrte an die andere Wand, und sein Adamsapfel hüpfte immer wieder über seinen steifen weißen Kragen. Die Prozession vor ihnen ging weiter, ohne sich umzusehen. »Alles hat seine Bedeutung und seinen Platz, Mademoiselle«, sagte er.
»Wie können Sie hier leben, wenn Sie wissen, daß diese Dinger von Ihrem Volk hergestellt werden?«
»Ich war zum erstenmal in Tausend Blumen oder überhaupt in einem Gefängnis«, sagte Soulavier. »Mein Fachgebiet ist Polizeidiplomatie.«
»Aber Sie haben es gewußt.«
»Etwas abstrakt zu wissen…« Er beendete den Satz nicht.
Mary stieß sich von der Wand ab und richtete sich mit einer Anstrengung auf. »Was machen Sie, wenn Yardley nicht einverstanden ist?«
Soulavier schüttelte traurig den Kopf. »Sie haben einen Scherbenhaufen aus meinem Leben gemacht, Mademoiselle«, sagte er. »Ganz gleich, weshalb Sie hergekommen sind, das ist das Resultat. Sie können Hispaniola verlassen. Ich nicht.«
»Die Erinnerung daran wird mich bis an mein Lebensende nicht mehr verlassen«, sagte Mary.
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LitVid 21/1 A-Netz (David Shine): »Die Enttäuschung hat sich wie ein Leichentuch auf AXIS Control herabgesenkt. AXIS hat einen weiteren Bericht über die Türme geschickt, und dieser ist nicht ermutigend. Andererseits weisen die Berichte von AXIS möglicherweise auf ein sehr bemerkenswertes Ereignis hin. Zu einer Analyse der Gesamtsituation geben wir nun weiter an den philosophischen Kommentator Hrom Vizhniak.«
Vizhniak: »Die Bilder und Daten, die wir von AXIS erhalten haben, deuten jetzt auf eine natürliche Erklärung für die Turmringe hin. AXIS hat eine Wanderung organischer Stoffe aus dem Meer gesehen, eine riesige und anscheinend undifferenzierte grüne Masse, die mit vielen zielgerichteten Armen oder Pseudopodien über die Landschaft gleitet, obwohl deren Umfang eher einen Vergleich zu Flüssen nahelegt.
Die Bilder sind verblüffend, ja sogar großartig, aber während sich diese Flüsse ihrem jeweiligen Ziel – den Turmringen – nähern, dominiert unsere
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