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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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eine nach der änderen drum herum.
    Ost-Comb Eins hatte seine Spiegelwände nach und nach eingeklappt. Ein natürlicher Abend senkte sich auf die Stadt darunter; als Richard fertig war, tanzten die Lichtbögen der Straßenbeleuchtung zwischen den gegabelten Spitzen hoher Masten auf dem ganzen Boulevard und spielten eine elektrische Nachtmusik, die den Sand der Zeit ins Rinnen brachte.
    Er trat von seinem improvisierten Denkmal zurück, bis seine Absätze den Bordstein berührten, und sprach den Text auf dem Spruchband leise vor sich hin, ohne sich darum zu kümmern, was die paar Schattenfußgänger denken mochten.
    Für Gina und Dione. Für Emanuel Goldsmith und für jene, die er getötet hat. Für Herr errette uns alle menschlichen Wesen, die Dummköpfe und die Weisen. Für mich selbst. Lieber Gott, warum tut es so weh, wenn wir tanzen?
    Er drehte sich abrupt um, ließ Bürste und Kleister stehen und ging zufrieden in die Nacht hinein.

 
62
     
    Mary saß im Hauptbüro des Gefängnisdirektors von Tausend Blumen und sah sich den Paß und die wenigen Papiere an, die den Häftling nach Hispaniola begleitet hatten. Soulavier und der Direktor stritten sich nebenan im Aktenraum des Gefängnisses lauthals auf Kreolisch und Spanisch.
    Der amerikanische Paß gehörte Emanuel Goldsmith. Es war eins jener primitiven Papierexemplare, die immer noch von einigen Ländern bevorzugt und von den meisten anerkannt wurden. Hispaniolas eigene Gesetze hinsichtlich der Papiere von Besuchern waren eher lax, wie es sich für ein Land gehörte, zu dessen Haupteinnahmequellen der Tourismus zählte.
    Das etliche Jahre alte Paßfoto von Goldsmith hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Häftling, wenn man nicht allzu genau hinschaute. Aber alle anderen Dokumente – eine Ausweiskarte des Staates Arizona, die Patientenkarte und die Sozialversicherungskarte – waren auf den Namen Ephraim Ybarra ausgestellt. Der Name sagte ihr nichts.
    Soulavier kam kopfschüttelnd ins Büro. Der Direktor folgte ihm. Er schüttelte ebenfalls den Kopf.
    »Ich habe ihm meine Anweisungen gegeben«, erklärte Soulavier. »Aber er besteht darauf, mit Colonel Sir Rücksprache zu halten. Und Colonel Sir ist im Moment nicht zu erreichen.«
    »Sehr schade«, sagte Mary. »Wenn Sie zu ihm durchkommen, würde ich ihm gern erzählen, was ich weiß.«
    Der Gefängnisdirektor, ein kleiner, dicker Mann mit Bulldoggenwangen, schüttelte erneut den Kopf. »Wir haben keinen Fehler gemacht«, sagte er. »Wir haben getan, was uns Colonel Sir persönlich befohlen hat. Ich habe selbst mit ihm telefoniert. Es hat keinen Irrtum gegeben. Wenn das nicht der Mann ist, den Sie hier erwartet hatten, dann irren Sie sich vielleicht. Und ihn seiner rechtmäßig verhängten Strafe zu entziehen, ist ein Skandal.«
    »Trotzdem.« Soulavier erhob die Stimme. »Ich habe die Befugnis, diesen Gefangenen von hier wegzubringen, ob Sie nun mit Colonel Sir Rücksprache halten oder nicht.«
    »Ich werde verlangen, daß Sie hundert, ja sogar tausend Papiere unterschreiben«, sagte der Direktor. Seine Augen traten hervor, und er wölbte die Lippen. »Ich werde keinerlei Verantwortung übernehmen.«
    »Ich verlange nicht, daß Sie die Verantwortung übernehmen. Ich bin verantwortlich.«
    Der Direktor verzog sein Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse. »Dann sind Sie ein toter Mann, Henri. Ihre Familie tut mir leid.«
    »Das ist mein Problem«, sagte Soulavier leise. Er senkte den Blick auf den Schreibtisch. »Sehen Sie sich die anderen Papiere dieses Mannes an. Offensichtlich hat er den Paß und die Tickets gestohlen. Goldsmith hätte keinen solchen Decknamen gebraucht.«
    »Von solchen Dingen weiß ich nichts«, sagte der Direktor und sah Mary mit einem beunruhigten Stirnrunzeln an. Ihr transformiertes Äußeres machte ihn nervös.
    »Wir nehmen den Häftling jetzt mit«, entschied Soulavier, nachdem er einmal tief Luft geholt hatte. »Ich ordne es im Namen des Präsidenten von Hispaniola an. Ich bin sein Bevollmächtigter.«
    Der Direktor hob die Hände und schüttelte sie, als ob sie naß wären. »Das ist Ihre Sache, Henri. Dann will ich mal die Papiere holen, die Sie unterschreiben müssen. Viele Papiere.«
     
    In der mitternächtlichen Dunkelheit verließ Soulaviers weitgereiste Limousine Tausend Blumen mit ihren drei Fahrgästen: einem niedergeschlagenen, schweigenden Soulavier, einer schmallippigen Mary Choy, die grimmig vor sich hinbrütete, und dem geheimnisvollen, bewußtlosen Ephraim Ybarra,

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