Königin der Engel
sich. Irgendwie konnte er ihrer gedenken. Was würde am besten zu seiner gegenwärtigen Verfassung passen? Er ging mit seinem Kreditkonto zu Rate, stellte fest, daß er ein paar hundert Dollar übrig hatte, und fragte die alte Frau, was er mit so wenig Geld für zwei liebe Freunde kaufen konnte.
Die Frau ging in ihren Laden und winkte ihn mit gekrümmtem Finger herein. »Sind Sie hier aus der Gegend?« fragte sie. Richard schüttelte den Kopf. Sein Blick schweifte über Regale voller seltsamer ritueller Dinge, die er in einem Blumenladen ganz und gar nicht erwartet hätte. Kleine Fläschchen mit Kräutern und Ölen, Schachteln mit zusammengebundenen, getrockneten Blättern und Wurzeln, trommeiförmige Behälter mit reinem Öl, gesalbtem Mehl und gesegnetem Maisschrot, gefärbter Zucker, einfache und parfümierte Andachtskerzen, bestickte und brokatene Zeremonienkleidung an einem uralten verchromten Rollständer, Borde voller Keramikschüsseln mit Deckeln, die mit Wachs versiegelt und mit Bändern zugebunden waren, kleine und hohe trommeiförmige Behälter, die an der Nordwand des Ladens hingen, eine riesige, schwarz und ziegelrot lackierte Keramikurne, die hinten neben der Theke stand.
»Woher sind Sie dann?« hakte sie nach.
»Ich mache einen langen Spaziergang, um über einiges nachzudenken«, sagte er. »Verzeihen Sie meine Neugier, aber ich dachte, das wäre ein Blumen…«
»Ist es auch«, fiel ihm die Frau ins Wort. »Aber hier in der Gegend herrscht rege Nachfrage nach Santeria- und Voodoo-Artikeln, Kräutern und solchen Sachen. Wir beliefern Kunden, die sich für die Geheimnisse des Orients interessieren, Urantier, Rosenkreuzler, Hubbard-Riten-Schismatiker, Islam-Fatima-Schwestern. Sagen Sie, was Sie brauchen, und wir besorgen es.«
Er betrachtete die große schwarzrote Urne. »Was ist da drin?« fragte er.
»Sechshundert Messer, von denen man weiß, daß mit ihnen Menschen getötet wurden«, sagte die Frau. »In gesegnetes Öl getaucht, um ihren angehäuften Schmerz zu lindern. Na, tut es Ihnen nicht leid, daß Sie gefragt haben? Wir können alle Arten von Blumen besorgen, die Sie haben wollen. Schauen Sie sich die Kataloge hier an.« Sie holte einen prächtigen Garten auf einen alten Bildschirm. »Sagen Sie uns einfach, was Sie möchten. Wir können es liefern.«
»Ich brauche etwas, das ich gleich mitnehmen kann.« Richard beäugte die Urne zweifelnd.
»Dann nur das, was vorne draußen ist. Sind Sie Anhänger eines Kults oder wollen Sie nur mal reinschnuppern?«
»Nein«, sagte er. »Ich bin Schriftsteller.«
»Ein und dasselbe. Alles Träumer. Ich verkaufe an alle. Ich habe einen Talisman für Schriftsteller. Lit oder Vid oder beides. Garantiert genügend Ausstrahlungen und Tantiemen.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Danke, aber nein«, sagte Richard.
Sie winkte ihn mit dem Finger nach draußen vor den Laden und zeigte auf die Vasen mit frischen Blumen unter der Markise. »Nanorosen sind im Angebot. Ich kann keinen Unterschied erkennen«, sagte sie. »Riechen wunderbar. Absolut natürlich. Aus Getreidenebenprodukten hergestellt.«
Er bewunderte die Rosen höflich und gab zu, daß sie sehr schön waren, lehnte jedoch ab. »Etwas Echtes, bitte.«
Sie zuckte die Achseln – über Geschmack ließ sich nicht streiten – und hob ein Dutzend eingewickelte orangerote, weiße und schwarze Winterlilien hoch. »Dominikanische Glorie«, sagte sie. »Im Land meiner Vorfahren gezüchtet. Fünfundsiebzig plus Steuern für Uncle Sugar.«
»Die sind gut. Sehr hübsch. Kann ich was von Ihrem weißen Einwickelpapier kaufen?«
»Es ist so ein schöner Abend«, sagte die Frau, »ich gebe Ihnen ein paar Meter so mit.«
Als nächstes suchte er einen traditionellen Laden für Künstlerbedarf auf, um eine Flasche blauer Temperafarbe zu erstehen. Auf einer Bank im Hinterhof des Ladens sitzend, umgeben von einem alten, splitternden Holzzaun, mit den Füßen eine von den Exzessen junger Kunststudenten befleckte Betonplatte abwetzend, rollte Richard das Einwickelpapier aus und beschriftete es sorgfältig.
Es war schon ziemlich dunkel, als er zur Wand der Bank zurückkehrte. Er hatte das zusammengerollte Transparent unter einem Arm und trug die Blumen, eine große Bürste und einen Eimer mit Kleister in einer Tasche. Er schmierte den Kleister mit der großen Bürste über ein Wandstück mit unleserlichen, verblichenen Plakaten und strich sein Spruchband in dem glänzenden, tropfenden Gel glatt. Dann klebte er die Lilien
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