Koenigin der Meere - Roman
Männer am Strand machten reiche Beute. Der Fischbestand in der Lagune war so üppig, dass die Piraten die Tiere mit den bloßen Händen fangen konnten. Sie gruben Löcher, kleideten sie mit Blättern aus, legten die ausgenommenen Fische hinein, bedeckten sie mit Blättern, schaufelten Sand darüber und ließen die Fische in der Sonnenglut garen. In halbierten Kokosnussschalen hielten sie Salzwasser bereit, in das sie ihre Fischstücke vor dem Verzehr eintauchten, um sie auf diese Weise schmackhafter zu machen.
Währenddessen trieben Virgin und seine Männer ohne den geringsten Anhaltspunkt über ihren Standort auf dem offenen Meer. Um sie herum nichts als Wasser, das sich in allen Grau-, Blau- und Grünschattierungen der wechselnden Färbung des Himmels anpasste. Der Proviant wurde jeden Tag knapper. Die Rationen waren so klein, dass die Mägen der Seeleute unaufhörlich knurrten. Virgin sah wütend auf die beiden Boote, die mit Sklaven besetzt waren.
»Wenn diese Neger uns nicht die Haare vom Kopf fressen würden, wären unsere Chancen, das hier zu überleben, größer. Wir sollten ihnen die Ohren abschneiden und sie ins Meer werfen«, sinnierte er laut genug, dass Jubilo und Kisu seine Worte verstehen konnten. Voller Schrecken krabbelte der Junge über das schwankende Boot zu Mary.
»Read! Er hat gesagt, dass er alle Schwarzen über Bord werfen will und ihnen vorher die Ohren abschneidet. Ich will nicht sterben, und Kisu auch nicht!« Mary legte ihren Arm um seine Schulter.
»Du wirst nicht sterben! Solange der Doktor und ich am Leben sind, wird euch beiden nichts geschehen.«
Zwei Tage später gab Virgin den Befehl, die Sklaven ihrem grausamen Schicksal zu überlassen. Männer und Frauen kämpften verzweifelt um ihr Leben, doch die Piraten waren erbarmungslos. Sie stachen mit Messern auf sie ein, schlugen die ohnehin geschwächten Afrikaner mit Ruderblättern bewusstlos und schleuderten sie ins Wasser. Als auch der letzte verzweifelte Todesschrei verhallt war, befahl Virgin, Kisu und Jubilo zu ergreifen. Bevor zwei seiner Männer bei den verängstigten Kindern angekommen waren, stand Mary hinter Virgin, riss seinen Kopf am Schopf nach hinten und setzte ihm das Messer an den Hals.
»Wenn den beiden ein Haar gekrümmt wird, schneide ich dir die Kehle durch!« Sie ritzte seine Haut. Virgin war rot vor Angst und Zorn.
»Read! Ich schwöre bei Gott und allen Teufeln, das kostet dich dein Leben! Ich bringe dich um!« Mary lockerte ihren Griff gerade so, dass Virgins Kopf nicht mehr ganz so weit zurückgebogen war und er ein wenig Luft bekam. Mit lauter Stimme wandte sie sich drohend an die Männer im Boot.
»Ich werde meine Ration mit den beiden teilen. Wir lassen sie am nächsten Hafen oder auf der nächsten Insel an Land. Aber bis dahin, gnade Gott demjenigen, der es wagt, Hand an sie zu legen. Ich warne euch. Ich bin schneller als jeder von euch mit dem Messer. Virgin ist nicht unser Kapitän, wir haben ihn nicht gewählt. Er hat das Kommando an sich gerissen und uns durch seine Unachtsamkeit in diese verfluchte Lage gebracht. Und nicht nur das! Auf seinen Befehl habt
ihr die gesamte Beute, die wir zu Geld hätten machen können, den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Ich will seinen Befehlen nicht länger gehorchen und schlage vor, dass wir ihn fesseln, bis wir Land sichten.«
Die Piraten hatten ihr schweigend zugehört. Als der Erste applaudierte und die anderen sich anschlossen, wusste Mary, dass sie gewonnen hatte.
»Read! Dann sei du unser Kapitän!«, schrie einer, und die anderen stimmten ein.
»Ja! Read soll unser Kapitän sein!« Mary hielt Virgin noch immer das Messer an die Kehle. Sie lächelte.
»Einverstanden! Aber nur bis wir an Land sind. Noch heißt unser Kapitän Calico Jack Rackham, und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir ihn und die Juliana wiederfinden. So, und jetzt nehmt dieses Stück Dreck und fesselt ihn, bis er sich nicht mehr bewegen kann!« Sie versetzte Virgin einen Stoß.
»Du bist ein mutiger Junge.« Der Doktor sah Mary dankbar an und fügte hinzu. »Ich hätte nie gedacht, dass so viel Kraft in dir steckt.« Mary beugte sich zu ihm und flüsterte: »Um ehrlich zu sein, ich auch nicht, Doc.«
Vier Tage später lag Jubilo mit aufgeplatzten Lippen, die Augen in tiefen Höhlen und wirr vor Durst in einer Ecke. Neben ihm, seine Hand fest in der ihren, dämmerte Kisu ihrem Ende entgegen.
»Wenn wir nicht alle sterben müssen, das schwöre ich, werde ich nie
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