Koenigin der Meere - Roman
trinken haben?« Zustimmendes Gemurmel beantwortete ihre Frage. Sie nahm das Fass, trug es zu Rackham und versuchte, ihm den puren Rum einzuflößen. Calico hustete, öffnete die Augen und knurrte.
»Lass mich schlafen! Verdammt! Ich will nichts als meine Ruhe!« Anne sah ihn eindringlich an.
»Du hast Fieber, zeig mir deine Hand!« Rackham war zu schwach, um sich zu wehren, und Anne wickelte den Lumpen von der verletzten Hand. Drei Finger waren zerquetscht, hingen nur noch an kleinen Hautfetzen. Die Hand war bis weit über das Gelenk zu einem rotbraunen Klumpen angeschwollen. Sie ging zum Meer, wusch den Lappen aus und machte einen neuen Verband. Rackham zuckte zusammen. Tränen schossen in seine Augen. Anne strich ihm mitfühlend über den Arm.
»Hier nimm noch einen ordentlichen Schluck und versuch zu schlafen. Ich schaue es mir morgen bei Tageslicht noch einmal an.« Calico wandte unwillig den Kopf ab.
Glühend ging die Sonne über der Insel auf und verschaffte einen Überblick über das, was die Männer am Vortag zum Trocknen auf dem Sand ausgebreitet hatten. Einige Flinten und Patronentaschen, ein paar Messer, Enteräxte, ein Fass mit Salzfleisch, ein Sack mit Bohnen. Anne runzelte die Stirn.
»Das ist immerhin etwas, aber nicht viel! Von dem Fleisch, den Bohnen und frischen Fischen können wir ein paar Tage leben. Aber wir brauchen Wasser.« Sie schaute auf das leere Rumfass.
»Ich habe so einen Durst, dass ich schon nicht mehr pissen kann.« Otis Finch, der erste Maat, spuckte auf den Boden.
»Wir haben alle Durst«, fuhr Anne ihn an, »aber jammern hilft nichts.« Sie warf einen Blick auf Rackham, der so unter der Pinie lag, dass die Sonne auf seinen Kopf schien.
»Wir müssen zwei Gruppen bilden. Die Hälfte geht auf Wassersuche und hält dabei gleich Ausschau nach den Tieren, deren Spuren wir gestern gesehen haben, die andere Hälfte bleibt hier, holt alles aus den Booten, was brauchbar ist, und schnürt Bündel, die wir transportieren können. Außerdem müssen wir eine Trage bauen, der Kapitän kann nicht laufen. Er hat hohes Fieber.« Finch sah sie unwirsch an.
»Hast du jetzt hier das Kommando, Bonny? Noch nicht trocken hinter den Ohren und willst uns sagen, was wir zu tun haben?« Anne warf ihm einen feindseligen Blick zu.
»Hier hat keiner das Kommando, aber jeder das Recht, Vorschläge zu machen. Wenn du eine bessere Idee hast, nur zu! Wir warten!« Sie blickte in die Runde.
»Oder jemand anders?« Niemand meldete sich zu Wort. Bevor sie erneut aufbrach, um Wasser zu finden, zog Anne ihr Entermesser aus dem Gürtel und schlug ein paar Palmwedel vom nächsten Baum. Wie sie es einst von Bojo gelernt hatte, steckte sie die Äste rechts und links von Rackham in den Boden und sorgte so dafür, dass zumindest sein Kopf und Oberkörper im Schatten lagen.
Drei Stunden später hatten sie noch immer kein Wasser gefunden. Die Piraten waren erschöpft.
»Wir werden hier armselig verrecken. Der Teufel hat uns auf diese Insel geschickt. Hier gibt es kein Wasser«, polterte Finch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Es muss Wasser geben, sonst könnten hier keine Tiere leben. Du hast die Spuren selbst gesehen«, erwiderte Anne. »Wir können froh sein, dass wir mit den kleinen Booten bis hierhergekommen sind. Jeder noch so schwache Sturm hätte sie umgeworfen wie Nussschalen, und wir wären jämmerlich ertrunken.«
»Laufen, laufen, laufen! Ich bin zur See gegangen, damit ich nicht laufen muss. Und jetzt irren wir hier seit Stunden durch die Wildnis, und ich verrecke fast vor Durst.« Der erste Maat setzte sich auf einen Baumstumpf.
»Von mir aus könnt ihr weiter durch das Unterholz geistern, aber ich bleibe hier. Holt mich auf dem Rückweg ab und bringt mir Wasser mit, wenn ihr jemals welches findet.«
Anne ging zu ihm und wechselte den Ton.
»Wir wollen alle überleben, und zusammen schaffen wir es auch. Denk an die vielen Achterstücke, die in der Kiste sind. Stell dir nur vor, was du für deinen Anteil kaufen kannst. Du willst doch nicht, dass dein Anteil am Ende kleiner ist, als der der anderen, nur weil du nicht mit uns kommst?« Finch erhob sich und setzte sich langsam in Bewegung.
Sie drangen weiter in das Innere der Insel vor. Anne bemerkte, dass sich die Vegetation veränderte. Das Grün des Unterholzes wurde satter. Sie waren auf dem richtigen Weg. Der Pfad stieg leicht an. Links und rechts erhoben sich Hügel. Und dann hörte sie es, das leise Plätschern einer Quelle.
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