Koenigin der Meere - Roman
durch Ihre schändlichen Taten verdient haben. Ich bin gekommen, um Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass das Verfahren gegen Sie in drei Tagen eröffnet wird. Es wird gerecht zugehen. Ich werde Sie ebenso wie die geladenen Zeugen vernehmen. Aber machen Sie sich keine Hoffnungen. Auf Piraterie steht in diesem Land die Todesstrafe, und ich gedenke davon Gebrauch zu machen. Also nutzen sie die Ihnen verbleibende Zeit, und bereiten Sie Ihre Hälse für den Strick und Ihre Seelen auf die Hölle vor.« Lawes drehte sich um. Anne straffte die Schultern.
»Sir, Herr Gouverneur, gewähren Sie mir eine Bitte. Ich flehe Sie an. In wenigen Tagen werde ich am Galgen baumeln, bitte gestatten Sie mir, dass ich die Zeit bis dahin nicht neben diesem stinkenden, verlausten Kerl verbringen muss. Lassen Sie Gnade vor Recht ergehen, und erlauben Sie mir, den Platz zu wechseln.« Lawes verzog spöttisch den Mund.
»Sitzt bis zum Hals im Dreck und graust sich vor Läusen.« Der Gouverneur warf einen kurzen Blick auf Rackham. »Wir sind keine Unmenschen. Schafft den Lümmel da rüber.« Er deutete auf den einzigen freien Haken im Verlies, der sich direkt neben Mary befand. Einer der Soldaten löste Annes Fessel und versetzte ihr einen Tritt. Auf allen vieren kroch sie über den Boden. Der Soldat kettete sie wieder an, dann folgte er Lawes. Die drei Riegel, mit denen die Tür gesichert war, wurden vorgeschoben, die Schritte entfernten sich.
Mary drückte ihr Knie gegen Annes Bein.
»Schön, dich so nah zu haben, bevor alles vorbei ist.« Sie sah wehmütig auf die kleine Wölbung ihres Bauches, die sich unter ihrem Hemd abzeichnete.
»Noch ist nicht alles vorbei. Warte, bis die anderen schlafen, dann erkläre ich dir, was ich vorhabe«, flüsterte Anne und lächelte ermutigend.
»Glaubst du, es gibt eine Chance für uns?« In Marys Stimme schwang ein Hauch von Zuversicht. Anne lehnte sich zurück und schloss die Augen.
»Könnte sein, aber sei jetzt leise. Wenn es klappt, klappt es nur für uns beide.«
Mitten in der Nacht neigte sie ihren Kopf an Marys Ohr und erklärte ihr, was sie vorhatte.
Marys Augen leuchteten in der Dunkelheit. »Du meinst, du bist auch …?«
»Schschscht! Sei leise. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, dass es noch nicht lange her ist, dass ich mich dieser Flohschleuder hingegeben habe. Ich will nicht, dass er etwas hört.« Mary kicherte. Der Begriff Flohschleuder gefiel ihr. Anne brachte sie zum Schweigen.
»Leise! Dobbins linst schon zu uns herüber. Verdirb es nicht! Mit
ein bisschen Glück, gewinnen wir zumindest etwas Zeit. Und die werden wir dringend brauchen, wenn wir unser Leben retten wollen.«
Die Öffentlichkeit verfolgte begierig die Schicksale der Piraten. Flugblätter kündeten von ihren Taten und Niederlagen. In Trauben drängten sich die Menschen um jedes neue Pamphlet, das an der Gefängnismauer angeschlagen wurde.
Die Bewohner von Spanish Town waren in zwei Lager gespalten. Brave Bürger, die mit dem Gouverneur der Meinung waren, dass die Schurken hart bestraft werden sollten, warteten ungeduldig auf den Tag des Prozesses und die anschließende Hinrichtung. Es bestand kein Zweifel daran, dass es eine solche geben würde. Die Frage war nur, wie viele der Gefangenen Lawes an den Galgen bringen würde. Mit wohligem Schaudern lasen sie, was die Reporter über die Piraten zu berichten wussten:
»Unablässig reißen sie Zoten, schimpfen, fluchen, lästern Gott in der übelsten Weise, die man sich vorzustellen vermag. Sie mokieren sich über den König und machen ihn lächerlich. Sie bringen nicht einmal die Geduld auf, Flaschen vorsichtig zu öffnen, sondern pflegen ihnen mit dem Säbel den Hals abzuschneiden und schütten den Inhalt in einem Zug hinunter. Ihre Beute bringen sie an Land mit losen Frauenzimmern durch.« Die Rechtschaffenen unter den Lesern empörten sich über das geschilderte Lotterleben der Delinquenten, und mancher ehrbare Bürger hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zuzugeben, wie gerne auch er eine Nacht mit viel Geld und einem der »losen Frauenzimmer« verbracht hätte.
Doch neben jenen, die sich am Elend der Piraten delektierten, gab es eine ansehnliche Zahl von arbeitslosen Seeleuten, die seit Wochen und Monaten vergeblich auf der Suche nach anständiger Arbeit waren und sich ihr karges Auskommen mit Gelegenheitsarbeiten verdienten. Sie bewunderten den Mut und die Unverfrorenheit, mit der Rackham und seine Mannschaft die Meere unsicher gemacht
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