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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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hatten, und wünschten sich, dabei gewesen zu sein.
    Mit jedem Tag, den die Gerichtsverhandlung auf sich warten ließ, heizte sich die Stimmung in der Bevölkerung auf. Sir Nicholas Lawes ließ sich davon nicht beeindrucken. Er verstärkte die Wachen vor dem
Gefängnis, ließ noch mehr Soldaten in den Straßen Patrouille laufen und bereitete sich sorgfältig vor.
    »Eigentlich könnte ich mir die Mühe sparen. Wer ein Gefängnis kennt, kennt Tausende, wer einen Gefangenen gesehen hat, hat sie alle gesehen. Die gleichen Gesichter, die gleichen Geschichten, das gleiche Pack! Aber ich will sichergehen, dass mir auch nicht einer von diesen Halunken einen Strick daraus dreht, dass ich etwas übersehen oder vergessen habe.« Er lachte. »Mir einen Strick drehen! Nein, den Strick drehe ich, und zwar bis er den Kerlen einem nach dem anderen das Genick bricht.«
    Die Häftlinge schmachteten in ihrem Kerker, bis Lawes zusammengetragen hatte, was er für einen erfolgreichen Prozess benötigte. Es war ihm gelungen, einige Matrosen ausfindig zu machen, die auf den von Rackham gekaperten Schiffen Dienst getan hatten und bereit waren, als Zeugen vor Gericht auszusagen.
    »Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese Bande nicht ihrer gerechten Strafe zuführen könnten.« Lawes beraumte den Prozess für den 16. und 17. November 1720 an.
     
    Der Gerichtssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die halbe Stadt hatte sich eingefunden, um die Männer, von denen seit Wochen gesprochen wurde, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, was sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatten.
    Unter den Zuschauern befand sich auch Lucinda Lawes, die Schwester des Gouverneurs, die sich den großen Auftritt ihres Bruders nicht entgehen lassen wollte.
    Rackham und seine Männer wurden einer nach dem anderen auf die Anklagebank geführt. Sie trugen noch immer die Kleidung, in der Jonathan Barnett sie gefangen genommen hatte; man hatte ihnen nicht einmal erlaubt, sich zu waschen. Haare und Bärte zerzaust und verfilzt, von Läusen, Flöhen und Wanzen zerbissen und zerstochen, saßen sie stinkend und verwahrlost auf ihren Plätzen. Die Damen im Saal zogen missbilligend die Nasen kraus, hielten parfümierte Tücher vor die Münder und zückten ihre Fächer.
    Nicholas Lawes stützte seine Anklage vor allem auf die brutalen Raubzüge, die unter Rackhams Kommando stattgefunden hatten.
Seine Zeugen erfüllten ihre Pflicht mit äußerster Gewissenhaftigkeit. Mit Genugtuung gaben sie die Grausamkeit des Piratenkapitäns in allen Einzelheiten zu Protokoll.
    Rackham saß mit gesenktem Kopf auf der Anklagebank. Sein Gesicht war übersät von roten Flecken, entzündeten, aufgekratzten Stichen. Seine Kleidung starrte vor Schmutz. Der einst so gepflegte Mann hatte sich in einen wandelnden Lumpenhaufen verwandelt.
    Der Vorsitzende Lawes machte sich nicht die Mühe, die Piraten in ein Kreuzverhör zu nehmen. Nach den Zeugenaussagen war die Beweislage so erdrückend, dass es einer eingehenden Vernehmung der Angeklagten nicht mehr bedurfte.
    Das Todesurteil lag in der Luft, doch der Vorsitzende wollte sich keinen Formfehler zuschulden kommen lassen und zog sich mit seinen Beisitzern zur Beratung zurück. Augenblicklich begann unter den Zuschauern eine erhitzte Debatte. Die überwiegende Mehrheit war dafür, die Delinquenten zu hängen. Einige fanden, die Strafe könnte wegen der vorgetragenen Grausamkeiten auch noch erhöht werden, indem man die Hauptverantwortlichen Rackham, Corner und Fetherston zuvor auf das Rad flocht und ihnen so ein langsames Ende unter qualvollen Schmerzen bereitete.
    Rackham und Dobbins wechselten entsetzte Blicke. Ihr Schicksal war besiegelt. Bestenfalls ein oder zwei Tage blieben, dann würde der Schuldspruch vollstreckt werden.
    Als Nicholas Lawes an seinen Platz zurückkehrte, senkte sich gespanntes Schweigen über den Saal.
    Mit fester Stimme verkündete er das Urteil für alle Beteiligten, verlas ihre Namen und endete mit den vorgeschriebenen Worten: »Und so sollt ihr am Halse aufgehängt werden, bis ihr tot, tot, tot seid. Der Herr sei euren Seelen gnädig.«
    Ein letztes Mal galt es, den Vorschriften Genüge zu tun, und so fügte Lawes hinzu, was das Gesetz ihm vorschrieb: »Hat einer der Verurteilten noch etwas zu sagen, so nutze er die Gelegenheit jetzt.«
    Auf dieses Stichwort hatten Anne und Mary gewartet. Sie erhoben sich von ihren Plätzen, lösten die Kopftücher und schüttelten ihre langen

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