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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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wenn sie besoffen ist, das hat sie doch selbst gesagt. Welchen Dienst soll uns eine betrunkene, abgetakelte Dirne schon erweisen können.«
    »Sie kommt vielleicht besoffen hier an, aber wenn sie geht, ist sie nüchtern, und den Zeitraum dazwischen werden wir nutzen.« Anne sah Mary triumphierend an.
    Die Tage vergingen zwischen Hoffen und Bangen. Jede Stunde erwarteten die beiden gefangenen Frauen, dass Hamilton auftauchen und Neuigkeiten bringen würde. Doch vor der Zellentür waren nur die Schritte des Wärters zu hören. Dann endlich schien es so weit zu sein. Anne spitzte die Ohren. Poltern und Schimpfen kündigten Besuch an. Die Türe öffnete sich, doch es war nur Kathleen Briggs, die der Wärter mit groben Stößen in den Kerker beförderte. Er schubste die betrunkene Frau so unsanft nach vorne, dass sie der Länge nach auf den schmutzigen Boden fiel. Blut floss aus der aufgeplatzten Lippe, als sie mühsam den Kopf hob und ihrem Peiniger einen wilden Fluch entgegenschleuderte. Der lachte und schlug die Tür hinter sich zu.
    Anne und Mary schichteten ein wenig Stroh auf einen Haufen und betteten Kathys Kopf darauf. Vorsichtig betastete Anne die anschwellende Verletzung.
    »Das ist halb so schlimm, in ein paar Tagen bist du wieder schön wie eh und je«, scherzte sie, doch da schnarchte Kathy schon.

-45-
    E s war ein schwüler Nachmittag. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Streunende Hunde hatten es sich im Schatten bequem gemacht und blinzelten träge, als Ströme von Schaulustigen an ihnen vorbeizogen. Stunden vor Prozessbeginn drängten sich die Menschen vor dem Palast des Gouverneurs, um einen guten Platz im Gerichtssaal zu ergattern. Schließlich war der Raum so überfüllt, die Luft so stickig, dass zwei Zuschauerinnen in Ohnmacht fielen und der Gerichtsdiener niemand mehr einließ.
    Sir Nicholas Lawes betrat den Saal mit gewichtigen Schritten. Er trug denselben bestickten Gehrock wie bei der Verhandlung gegen Rackham und schwitzte unter seiner gepuderten Perücke. Hinter ihm trippelte mit gezierten Schritten der Beisitzer, ein dicker kleiner Mann mit kurzen Beinen und madenweißem, weichem Fleisch.
    Der Gouverneur nahm seinen Platz ein und schlug mit einem hölzernen Hammer auf den Tisch. Die aufgeregten Gespräche im Saal erstarben in Gemurmel, das kurz anschwoll, als Mary und Anne an Händen und Füßen gefesselt hereingeführt und unsanft auf die hölzerne Anklagebank geschubst wurden.
    Ben Hamilton stand ganz hinten im Saal. Die Zeit im Kerker hatte Anne und Mary mehr zugesetzt, als er es im Halbdunkel des Verlieses wahrgenommen hatte. Struppig umrahmten Marys Haare ihr schmales Gesicht. Die Hose, am Bauch nur noch mit einer Kordel zu schließen, schlotterte um ihre Beine. Anne hatte ihre roten Locken im Nacken zusammengebunden und bemühte sich trotz der eisernen Fußketten um einen stolzen, aufrechten Gang. Ihre Haut war fahl. Hamilton suchte vergeblich nach dem Leuchten ihrer grünen Augen.

    Nicholas Lawes hatte am Abend zuvor dem Rotwein heftig zugesprochen und litt in der Schwüle unter den Folgen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und eröffnete die Verhandlung, die er möglichst kurz zu halten gedachte.
    Die Zeugenaussagen würden genügen, um die Schuld der Frauen zu belegen. Er würde sie beide zum Tod durch den Strang verurteilen und das Urteil bis nach der Geburt der erwarteten Kinder aussetzen.
    Die aufgerufenen Zeugen, allesamt von Überfällen betroffen, ließen keinen Zweifel daran, dass Anne und Mary ihnen mit ihrem Gebaren und ihren Drohungen zwar Angst und Schrecken eingeflößt, aber niemandem ein Haar gekrümmt hatten. Verärgert sah sich Nicholas Lawes gezwungen, die Formulierung seiner Anklage zu ändern, und nahm den Vorwurf des Mordes zurück. Stattdessen bezichtigte er die beiden Frauen des Schwer verbrechens, Piraterie und Raub auf hoher See. Die Zeugen nahmen ihre Plätze wieder ein, und der Gouverneur rief Dr. Northrop Simmons auf, seinen Bericht zu verlesen. Voller Hoffnung und Vorfreude auf die Details der gynäkologischen Untersuchung leckte sich der Beisitzer über die Lippen, wurde jedoch herb enttäuscht, als Simmons seinen Befund mit leiernder Stimme vortrug: »Betreffend meiner Untersuchung an Mary Read kann ich bestätigen, dass sie schwanger ist. Nach meiner Meinung als Mediziner zeigt sie die entsprechenden Begleiterscheinungen, nämlich Ausbleiben der Menses, eine Schwellung des Unterleibs, die nicht auf Blähungen zurückzuführen ist, sowie

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