Koenigin der Meere - Roman
das ist Jamaika.«
Anne zuckte zusammen. Weibischer Unsinn! Sollte Rackham etwas bemerkt haben? Aus dem Augenwinkel sah sie einen grimmigen Zug um seinen Mund. Was um Himmels willen konnte sie nur tun, um den Mann, den sie um alles in der Welt für sich gewinnen wollte, etwas freundlicher zu stimmen. Wann immer sie in seine Nähe kam, gab er sich mürrisch und grob, dabei gehorchte sie ihm aufs Wort, tat alles, was er von ihr verlangte. Wenn er nur die Hälfte von Vanes Liebenswürdigkeit ihr gegenüber an den Tag gelegt hätte, wäre sie schon zufrieden gewesen. Aber Rackham hatte noch keine freundliche Silbe für sie gehabt, immer nur harsche Worte, und Anne kam es vor, als würde dieser Zustand mit der Zeit nicht besser, sondern eher schlimmer.
In Charleston waren die Männer ihr nachgelaufen wie die jungen Hunde, und dieser eine, den sie wirklich wollte, war zu fast allen Menschen nett, nur nicht zu ihr. Anne beschloss, den Landaufenthalt zu nutzen, um das zu ändern. Zunächst einmal galt es allerdings, ein dringlicheres Problem zu lösen. Anne betete inständig, dass Blackbeard sie und Jubilo nicht erkennen möge.
»Zwei Dinge müssen wir tun, hörst du! Wir dürfen uns auf keinen Fall zusammen sehen lassen, und wir müssen vermeiden, in seine Nähe zu kommen«, schärfte sie ihm ein. Jubilo nickte verständig.
»Solange wir hier in der Bucht sind, halte ich mich an die anderen Farbigen. Da falle ich nicht so auf wie neben dir. Einer wie Blackbeard schaut bei Schwarzen und Mulatten sicher nicht genau hin. Er wird mich gar nicht wahrnehmen.«
»Du bist ein schlaues Bürschchen«, lobte Anne und bemerkte zum ersten Mal, wie sehr sich Jubilo verändert hatte, seit sie Charleston verlassen hatten. Er reichte ihr fast bis zur Schulter. Die Arbeit in der Taverne und auf dem Schiff hatte aus dem mageren Kind einen muskulösen
Knaben gemacht. Klug und ernst schauten seine dunklen Augen unter den langen Wimpern in die Welt.
Die Mannschaften begrüßten sich mit lautem Hallo. Ihr Geschrei half Anne, aufkommende Gedanken an Phibbah und das schreckliche Geschehen von damals schnell zu vergessen. Vane ließ die Anker setzen und fuhr mit dem ersten Beiboot zum Strand. Dort saß Blackbeard an einem notdürftig gezimmerten Tisch. Er erhob sich und wankte auf Vane zu.
»Vane, du gescheckter Köter, wer hätte gedacht, dass ich dich ausgerechnet hier wiedersehe«, lallte er. Sein schwarzes Haar hing in fettigen Strähnen vom Kopf, der verfilzte Bart sah aus, als hätten sich nicht nur Essensreste, sondern auch ganze Horden von Läusen festgesetzt. Vane schauderte.
»Blackbeard, dir altem Hund bringe ich Manieren bei! Bevor ich dir zu nahe komme, sollte man dich besser ins Meer tunken, bis dein Ungeziefer ersoffen und auch in dir nicht mehr viel Leben ist.« Mit gerümpfter Nase ließ er die Umarmung über sich ergehen.
»Drei Schiffe! Ohne Beut, keinen Deut, was! Wir sollten uns zusammentun! Das Meer würde uns gehören, und kein Gouverneur der Welt könnte uns etwas anhaben.« Blackbeard ließ sich schwer auf den Baumstumpf fallen, auf dem er zuvor gesessen hatte, und zog eine kleine Silberdose aus der Tasche. Vane sah ihn mitleidig an. Bis in die Tavernen von Nassau hatte es sich längst herumgesprochen, dass der gefürchtete Edward Teach zuweilen nur noch ein Schatten seiner selbst war. Zu seinem enormen Alkoholkonsum war in jüngster Zeit auch noch eine Vorliebe für Laudanum gekommen. Blackbeard öffnete das Döschen und hielt es Vane auffordernd hin.
»Hervorragend! Weil du mein Freund bist, gebe ich dir was davon ab. Ich hab’s in Charleston gekauft.« Er stierte mit glasigen Augen vor sich hin. »Sechshundert Achter, so eine kleine Portion! Wucher!« Mit einem bedauernden Seufzer nahm er eine der kleinen Pastillen und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Wein hinunter.
»Und dann habe ich auf das Pardon geschissen, einen Holländer geplündert und seine Pulverkammer zur allgemeinen Himmelfahrt angezündet!« Edward Teach brach in dröhnendes Gelächter aus und schlug sich auf die Schenkel. Vane stand auf.
»Wir haben jede Menge Rum, Wein und sogar ein paar Flaschen französischen Cognac unter Deck. Meine Männer freuen sich auf ein ordentliches Abendessen. Ich lasse ranschaffen, was an Bord ist, und dann feiern wir!« Blackbeard hob zum Zeichen der Zustimmung seinen Becher und leerte ihn, ohne abzusetzen. Einen Wimpernschlag später lag er mit dem Kopf auf dem Tisch und schnarchte.
»Wenn er so
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