Koenigin der Meere - Roman
bringt, Sir.«
»Das habe ich befürchtet. Wir werden nicht an Land gehen. Das Risiko ist zu groß.« Mit diesem Befehl zog er sich den Unmut seiner Männer zu.
Vane versuchte sie zu beschwichtigen: »Wir nehmen Kurs auf New York, und zwar noch heute Nacht. Da kennt uns niemand, und wir laufen nicht Gefahr, dass uns dieser wild gewordene Gouverneur seine Schergen auf den Hals hetzt.«
Die Mannschaft murrte: Warum bequeme, leichte Hemden und das milde Klima der Karibik gegen geteerte Jacken und die grimmige Kälte New Yorks tauschen?
Wenige Tage später kaperten sie zwei kleine Segelschiffe, beladen mit Wein und Cognac aus Frankreich. Der Kapitän gab den Alkohol sofort frei und besänftigte damit seine Leute.
Anne hatte mit den Kameraden gefeiert. Sie, die kaum Rum trank, fand Gefallen am französischen Wein und unterschätzte dessen Wirkung. Mitten in der Nacht erwachte sie und spürte ein unwiderstehliches Verlangen nach Calicos Nähe. So vorsichtig es ihr Zustand zuließ, schlich sie sich zum Bug, wo er seinen Schlafplatz hatte, und legte sich neben ihn. Rackham grunzte zufrieden, schloss sie in die Arme und schlief weiter.
Das Los der zweiten Nachtwache war auf Steuermann Robert Deal gefallen. Er übernahm die Laterne von seinem Vorgänger und machte den ersten Rundgang. Gewissenhaft leuchtete er in alle Ecken und entdeckte dabei das schlummernde Paar. Deal hob die Laterne, das Licht der Kerze fiel direkt auf Annes Gesicht. Deal pfiff leise durch die Zähne und zog sich unbemerkt zurück.
Für die Jahreszeit war die See ungewöhnlich ruhig. Statt der üblichen Herbststürme blies ein frischer Wind, der die Segel in Richtung New York blähte. Vane war zufrieden und widmete sich in seiner Kajüte einem Ballen gelber Seide, die in Indien mit prächtigen Stickereien verziert worden war, da klopfte es an der Tür. Robert Deal hatte entschieden, seinem Kapitän Bericht über die nächtliche Entdeckung zu erstatten.
»Sehen Sie genau hin, Sir, dann werden auch Sie es bemerken. Bonny ist kein junger Mann, Bonny ist eine Frau und die Geliebte Ihres Quartiermeisters.« In Erwartung einer drakonischen Strafe für seinen Erzfeind, gelang es dem Steuermann kaum, das freudige Zittern in seiner Stimme zu verbergen.
Vanes Gesichtszüge entgleisten. Scham und Enttäuschung waren grenzenlos. Alles hatte er für Bonny getan, ihm jede nur mögliche Vergünstigung zuteil werden lassen, gar nicht zu reden von diesem verräterischen Rackham. Wahrscheinlich waren die beiden schon in Nassau ein Paar gewesen und spotteten seither hinter seinem Rücken über ihn. Vane fühlte, dass seine Knie nachzugeben drohten, nahm einen Schluck Rum aus seiner persönlichen Karaffe und rang um Fassung.
»Deal, ich befehle Stillschweigen, und verlasse mich auf Sie. Ich werde die Angelegenheit überprüfen und entsprechend ahnden.« Der Steuermann nickte beflissen. Entsprechend ahnden, das bedeutete nicht weniger als die Todesstrafe für Rackham. Zufrieden rieb er sich die Hände und wollte eben die Tür der Kajüte hinter sich schließen, da erklang aus dem Krähennest: »Schiff voraus!« Vane stieß ihn zur Seite und eilte nach oben.
»Ein Franzose«, empfing Rackham den Kapitän und reichte ihm das Fernglas.
»Aber kein Handelsschiff, das ist ein Kriegsfahrer!«, murmelte Vane.
»Wir lassen ihn passieren. Der ist sicher so gut mit Kanonen bestückt, dass er unsere drei Schiffe mit ein paar gezielten Schüssen versenkt, und außer Waffen und Munition gibt es nichts zu holen.« Er befahl dem Steuermann eine Kursänderung.
»Was soll das heißen, außer Munition ist dort nichts zu holen. Wir haben zwei Schiffe mit Kanonen und Waffen, es wäre gar nicht
schlecht, wenn wir unseren Vorrat an Munition aufstocken würden«, widersprach Rackham.
»Ich sagte, wir lassen passieren!«, wiederholte Vane seinen Befehl scharf. Rackham drehte sich um und instruierte die Mannschaft.
»Der Kapitän wünscht nicht, dass wir angreifen«, sagte er in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er mit der Entscheidung nicht einverstanden war.
»Warum nicht? Was soll das?«, tönte es aus der Mannschaft. Rackham zuckte die Achseln.
»Mr. Vane fürchtet sich vor der Übermacht des Franzosen und meint, dass wir die Munition, die wir erbeuten könnten, nicht brauchen.« Diese Worte grenzten an eine offene Aufforderung zur Meuterei, und so wurden sie verstanden. Als Vane sich am Abend in seine Kajüte begeben hatte, versammelte sich ein Teil der
Weitere Kostenlose Bücher