Königin der Piraten
nicht. Sie konnte es ja nicht einmal ihrer Besatzung erzählen, der sie auch nicht mehr bedingungslos vertraute.
Wäre ein Leben als Admiralsgattin denn wirklich so schlimm? Gray hat gesagt, du könntest mit ihm auf See fahren. Du könntest immer in seiner Nähe bleiben. Er würde dir alle Freiheit lassen, die du willst. Sein einziger Wunsch wäre es, dass du die Piraterie aufgibst. Und wenn man bedenkt, dass er Admiral ist, kann man ihm das auch kaum verübeln, oder?
»Ich kann nicht«, flüsterte Maeve.
Warum nicht?
»Weil ... weil ich kein anderes Leben kenne! Weil ich Angst habe, verdammt!«
In den grauen Nebelschwaden, die um Grays mächtiges Kriegsschiff zogen, sah die Triton aus wie ein Geisterschiff. Als eine Woge die Kestrel emporhob, spürte Maeve, wie sich ihr erneut der Magen umdrehte. Dazu kamen wieder die Angst ... die Freude ... und die Erkenntnis, dass sie bald eine Entscheidung würde treffen müssen.
Wenn nicht um ihretwillen, dann wegen des winzigen neuen Lebens, das in ihr heranwuchs.
Willst du etwa, dass das Leben für sein Baby aus Stehlen, Kapern und Morden besteht und es eines Tages an einer Schlinge aufgeknüpft wird? Oder willst du, dass es bekommt, was du einst hattest... zwei liebende Eltern ... immer genug zu essen ... eine gute Erziehung, ein sicheres Zuhause und einen guten Grundstock von Anstand, Moral und geistiger Orientierung?
Einen Vater.
Hat das unschuldige kleine Wesen nicht mehr verdient als das, was du allein ihm geben kannst?
Schützend legte sie die Hand auf ihren Bauch.
Nein?
Inzwischen konnte sie das Land schon riechen, den fischigen Gestank eines Hafens, den Rauch aus den Schornsteinen, den üppigen Geruch von Gras und anderen Pflanzen. Einen Vater. Sie dachte an ihren Vater, der einst diesem Land gedient hatte und später gegen es in den Krieg gezogen war, und fragte sich, ob er wohl einmal genau diese Küste gesehen hatte und durch genau die Straßen gelaufen war, durch die sie bald gehen würde. Sie dachte an den kleinen Schoner, der sie hergebracht hatte. Einst hatte er gegen die britische Flotte gekämpft, und heute segelte er in Gesellschaft nicht nur eines, sondern zweier englischer Admirale dahin. Die britischen Farben von ihrer Gaffel wehen zu lassen kam ihr irgendwie nicht richtig vor - und war es doch. Eine bittere, merkwürdige Ironie lag darin, fast als käme die Kestrel nach Hause.
Als der Nebel sich lichtete, hatte sie freie Sicht auf Grays riesiges Schlachtschiff mit den beiden Kanonendecks. Eine Gruppe Offiziere hatte sich auf dem Achterdeck versammelt, und Maeve musste sich beherrschen, um nicht ihr Fernglas zu heben und ihn darunter zu suchen.
Oh, Vater. Wenn du doch hier wärst! Ich weiß nicht, was ich machen soll.
Ihn heiraten, natürlich. Du liebst ihn doch, oder?
Maeve schlang die Arme um ihren Leib und senkte hin-und hergerissen den Kopf. Sie hatte Angst und sich im Leben noch nie so allein gefühlt. Vor ihr schob sich der kleine Klüverbaum der Kestrel durch den Nebel, gerade und verlässlich wie ein Pfeil.
Am Vorabend waren Aisling und Sorcha an Bord der Triton gekommen und hatten erklärt, sie wollten für Colin Lord Kekse backen. Nach dieser kulinarischen Heldentat waren sie über Nacht geblieben - natürlich unter dem Schutz des grummelnden Sergeant Handley in einer Leutnantskajüte.
Nun wünschte Gray, er hätte diesbezüglich nicht so ein weiches Herz gehabt, denn ihm war schlecht, weil er zu viele Kekse gegessen hatte. Außerdem hatte er fürchterliche Kopfschmerzen.
So viel zu der Taktik, den »Feind« ins eigene Lager zu locken, dachte er sarkastisch. Alle fraßen sie ihm aus der Hand - nur nicht Ihre Majestät.
Finster starrte er über das im Dunst liegende Wasser zu ihrem Schoner hinüber, als die Triton den Ankerplatz von Spithead erreichte, zu Ehren des Hafenadmirals einen Salut abfeuerte, sich in den Wind drehte und klatschend ihren mächtigen Anker versenkte.
Er wandte sich zu seinem Flaggleutnant um. »Seid so gut und gebt der Kestrel ein Signal, Mr Stern. Teilt Kapitänin Merrick mit, sie soll sich sofort zum Flaggschiff begeben. Ich möchte sie sehen, bevor ich dem Hafenadmiral meine Aufwartung mache.«
»Sehr wohl, Sir.«
Gray packte einen Fähnrich am Arm, der hinter dem Leutnant hereilen wollte. »Mr Hayes!« »Sir!«
»Geht und macht meine Barkasse klar. Aber schnell.«
An Steuerbord hörte Gray es zweimal klatschen, als die Cricket und die Harleigh neben ihm vor Anker gingen.
»Die Kestrel
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