Königin der Piraten
ging voran unter das Poopdeck - und dort im schummrigen Halbdunkel offenbarte Nelson, was für ein Genie er wirklich war.
»Also, passt auf«, begann er knapp.
Er griff zu einem Bleistift und zeichnete auf die Rückseite einer Karte eine Reihe Schiffe. Gray schaute ihm mit wachsendem Interesse über die Schulter. »Die britische Kriegsmarine«, sagte Nelson, während er wie wild weiterzeichnete, »hat ihre Schiffe stets in einer Linie entlang der feindlichen Flotte aufgestellt. Sieger einer Schlacht wurde dann derjenige mit den stärkeren Waffen. Ich entwickle aber einen neuen Plan, Gray, einen einzigartigen, großartigen Plan, der gar nicht fehlschlagen kann.
Das hier ist Wiel-nuuvs Flotte« - Nelson warf eine Reihe von Dreiecken aufs Papier, welche Schiffe darstellen sollten - »in der traditionellen Schlachtaufstellung. Und das hier« - er zeichnete drei kleine Säulen, die alle rechtwinklig auf die feindliche Linie gerichtet waren - »sind meine Schiffe. Ich werde die Reihe durchbrechen, Gray, an drei Stellen, und so den Feind überwältigen! Habt Ihr verstanden? Die Maus aus ihrem Loch locken, und dann teilen und erobern! Das ist die einzige Möglichkeit ... und es kann nicht schief gehen!«
Er warf den Bleistift hin und sah mit funkelnden Augen auf.
»Ihr seid ... großartig, Sir-«
»Ich habe gefragt, ob Ihr verstanden habt, Gray?!«
Gray begegnete seinem durchdringenden Blick.
»Ja, Sir«, erwiderte er leise. »Und ob ich verstanden habe.«
Ein Plan, um die Maus aus ihrem Loch zu locken. Ein Plan, um zu teilen und zu erobern.
Keine französische Flotte - sondern das Herz einer Piratenkönigin.
»Dann ist es ja gut«, blaffte Nelson, doch seine Augen blitzten, und er lächelte. »Also, begebt Euch wieder auf Euer Schiff, Falconer, und macht Euch ans Werk!«
Ihren ersten Blick auf England würde Maeve nie vergessen - in der Ferne kamen stürm-und wellengepeitschte Felsen und eine lang gestreckte Küste in Sicht, die im Morgendunst versank. Maeve klammerte sich an die Reling, unterdrückte die Seekrankheit, die sie seit einer Woche plagte, und starrte trübsinnig hinaus in den Nebel.
Zuvor war sie in ihrem Leben noch keinen einzigen Tag seekrank gewesen. Und sie wusste auch, dass ihre Übelkeit in Wirklichkeit einen anderen Grund hatte.
Nun, da der Konvoi und das kleine Geschwader, das ihn begleitete, sich den Kanal hinaufkämpften, graute ihr vor ihrer ungewissen Zukunft. Die beiden Fregatten, die die Schlacht überstanden hatten, segelten luvseits der Handelsschiffe; die Triton, an deren Besanmast die Flagge des Konteradmirals immer wieder von Nebelschwaden eingehüllt wurde, bewegte sich schwerfällig vorwärts, und Nelsons Victory bildete die Vorhut. Seine Mittelmeerflotte hatten sie in Gibraltar zurückgelassen.
»Gray«, flüsterte Maeve, während kühler Nebel über das Deck zog und sich auf ihr Gesicht legte. Sie dachte daran, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, als er die Tür zu ihrer Kajüte eingetreten und sie wutentbrannt gezwungen hatte, ihm zuzuhören.
Und sich ihm hinzugeben.
Nein, dachte sie und verzog den Mund zu einem Lächeln. Nicht gezwungen ... Dazu würde er sie niemals zwingen müssen ...
Dann verflog ihr Lächeln, denn nach dieser stürmischen Liebesszene hatte er sie verlassen - und seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Nacht für Nacht hatte sie in ihrer Koje an Bord der Kestrel gelegen und voll brennender Sehnsucht nach ihm aus dem Fenster auf die Lichter der Triton gestarrt. Sie hatte sich so verzweifelt nach ihm verzehrt, dass es ihr schier das Herz gebrochen hatte. Nacht für Nacht hatte sie sich in den Schlaf geweint und sich gewünscht, sie könnte Gray so vertrauen, dass sie ihre hart erkämpfte Unabhängigkeit für ihn aufgeben würde. Und jeden Tag war ein Boot mit einem kecken Fähnrich von der Triton herübergekommen und hatte ihr einen Stapel versiegelter Depeschen gebracht. Nein, keine Depeschen, sondern glühende, ergebene Liebeserklärungen in Grays ungelenker, kaum leserlicher Handschrift.
Dann waren plötzlich keine Briefe mehr gekommen.
Einfach so.
Nun bestand ihr einziger Kontakt mit dem Flaggschiff in den täglich gehissten Signalen - Signalen, die ihr Anweisungen zur Position der Kestrel gaben, verärgerten Signalen, wenn sie sich zu weit von der Flotte entfernte, und Signalen, die Aisling und Sorcha freundlich einluden, mit Gray und seinem Flaggkapitän Colin Lord zu Abend zu essen.
Du musst es ihm sagen, Maeve.
Nein. Sie konnte
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