Königin der Piraten
Schiffskatze, die sich unter den Fenstern am Heck träge in den letzten Sonnenstrahlen räkelte. Als er die Zähne fletschte und eine Grimasse zog, ergriff sie die Flucht. Gray lachte lauthals auf.
»Miez, miez, miez«, lockte er und starrte die Katze, die ihn nun von einem sicheren Platz unter Colins Schreibtisch anfunkelte, scherzhaft-finster an. Als sie mit einem wütenden Fauchen reagierte, erklang in der Kajüte erneut Grays schallendes Gelächter.
Der gehetzt wirkende Bedienstete brachte ein silbernes Tablett herein und stellte es vor den beiden Offizieren ab. Colin griff zur Teekanne. »Sahne und Zucker, Sir?«
»Nein, nur Rum.«
»Nur Rum, Martin. Wie der Admiral wünscht.«
Der Diener kehrte mit Tellern und einem leckeren Zitronenkuchen mit Zuckerguss zurück. Colin schenkte Gray Tee ein und sah ihn aufmerksam an, während er seine eigene dampfende Tasse zum Mund führte.
Als er die Sorgenfalte auf Grays Stirn und seinen entschlossenen und zugleich gedankenverlorenen Blick bemerkte, wusste er Bescheid.
Die Piratenkönigin.
»Colin, alter Junge ...«, begann Gray. Der Flaggkapitän wappnete sich für das, was nun kommen musste.
»Sir?«
Gray ließ sich Zeit. Er schlürfte seinen Tee mit Rum, schob die Krümel auf seinem Teller hin und her und musterte Colin mit seinen dunklen Augen. »Stellt Euch einmal folgendes Szenario vor.«
Colin setzte seine Tasse ab. Dann mal los, dachte er.
Gray schaute geistesabwesend aus den offenen Fenstern am Heck und zupfte nachdenklich an seinem Ohrring herum. »Denkt Euch«, sagte er langsam, »denkt Euch, Ihr befändet Euch, sagen wir einmal, auf einer kleinen Fregatte und stündet einem feindlichen Geschwader von Linienschiffen gegenüber, das einem Konvoi von Schiffen, nehmen wir einmal an: von Handelsschiffen Geleitschutz gibt. Angenommen, die Fracht eines - wohlgemerkt, nur eines - dieser Handelsschiffe wäre so kostbar, dass Ihr davon bis an Euer Lebensende recht glücklich leben könntet. Wenn Ihr in einer solchen Lage wäret, würdet Ihr dann die mächtige Flotte und die reichen Kauffahrteischiffe in Ruhe lassen, oder würdet Ihr alles riskieren und angreifen, auch wenn die Chancen denkbar schlecht für Euch stünden?«
Colin schaute Gray an und fragte sich, worauf sein taktisch versierter Vorgesetzter hinauswollte. Dass dies ein Test war, daran hatte er keinen Zweifel - Sir Graham bediente sich häufig solcher Methoden, um den scharfen Verstand seines Flaggkapitäns zu schulen und ihn auf seine Beförderung zum Admiral vorzubereiten. Doch Colin wusste, dass mehr dahinter steckte, und er hätte um die Tressen an seinem Rock und beide Epauletten auf seinen Schultern gewettet, dass Konteradmiral Sir Graham Falconer nicht von Schiffen sprach ...
»Colin?«
»Also, ich würde alles riskieren und angreifen, Sir ... natürlich.«
»Natürlich. Ihr seid schließlich Engländer.«
»So wie Ihr - Sir.«
»Sehr gut. Punkt für Euch. Nun sagt mir, mein lieber Colin, wie würdet Ihr in einer solchen Situation vorgehen, um den Feind zu schlagen? Einen mächtigen Feind, der die Geschütze aufgefahren hat und entschlossen ist, Euch nicht nahe genug heranzulassen, um an Bord zu gehen und ihn zu kapern?«
»Jedes Schiff hat eine verwundbare Stelle, Sir«, erwiderte Colin und schob seinen Stuhl ein wenig zurück, sodass ihm die arme, schikanierte Katze auf den Schoß springen konnte. Er strich ihr über den Rücken und wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Wie Ihr sehr gut wisst, ist die Feuerkraft von Bug und Heck vergleichsweise unbedeutend. Diese Bereiche sind daher nicht besonders geschützt gegen einen Angriff. Man könnte jedoch auch die konstruktionsbedingten Schwächen eines bestimmten Schiffstyps berücksichtigen oder gewisse naturgegebene Schwachstellen, zum Beispiel die Wasserlinie oder den Bereich darunter, wenn man sich zufällig luvseits eines Schiffes befindet, das sich bereits stark auf die Seite legt.«
Gray lächelte, und seine dunklen Augen blitzten.
»Und wo, Kapitän, wären diese Schwachstellen auf einer mächtigen Korvette? Wie würdet Ihr vorgehen, um sie zu unterwerfen ... ohne ihre Spanten zu beschädigen oder ihr ein Jota von ihrer Kraft zu nehmen?«
Gray sah sein Gegenüber gespannt an - allzu gespannt. Vorsichtig erwiderte Colin: »Ich würde mich ihr von hinten nähern, Sir, außer Reichweite ihrer schweren Geschütze und Breitseiten, also von dort, wo sie sich am wenigsten wehren kann. Ich würde sie mit Feuer bestreichen, ihr Steuer
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