Königin der Piraten
demütigend, dass sie nicht einmal so eine Kleinigkeit selbständig erledigen konnte. Aber es half nichts. So schwindlig und übel, wie ihr war, und so schwach, wie sie sich fühlte, war sie Gray hilflos ausgeliefert - und das wusste er auch ganz genau. Nun sprudelten ihre Tränen nur so hervor und zeichneten zwei brennende Spuren qualvoller Schmach auf ihre Wangen. Gray wechselte vom Pfeifen zu lautem, unerträglichem Summen über.
Laut schniefend betrachtete Maeve das Nachtgeschirr zu ihren Füßen. O Gott, warum hatte Gray nicht früher daran gedacht, ihr eines der Mädchen zu schicken, damit es sich um sie kümmerte? Warum musste er sie unbedingt in solche Verlegenheit bringen, sie so demütigen?
Nun fing Gray an, aus voller Kehle zu singen - so laut, dass man es sicher noch zwei Decks weiter oben hören konnte, wenn nicht gar auf dem Ausguck. »Den Feind seh'n wir nie, doch wir bleiben an Bord! Er sieht uns auch nie, doch er wünscht uns weit fort! Wenn er flieht, ho, so folgen wir ihm bis an Land, denn will er nicht kämpfen, spürt er doch unsre Hand. Unsre Schiffe so treu, unsre Männer so frei! Wir sind stets bereit, halten Kurs alle Zeit, wir kämpfen und kapern immer aufs Neu'! Lalala lalala lalala la la.«
Gray hatte einen voll tönenden Bariton und wusste auch, wie er ihn zum Klingen bringen konnte. Um alle
Gedanken zu ersticken, andere Stimmen zu übertönen, Geräusche zu übertönen, die er nicht hören sollte. Ja, um Geräusche zu übertönen, die er nicht hören sollte ...
Plötzlich begriff Maeve, warum Gray so munter und lauthals drauflossang - damit sie ihr Bedürfnis verrichten konnte, es ihr jedoch erspart blieb, dass er alles mit anhörte. Maeve hob den Saum ihres Nachthemds und tat, was sie tun musste.
Als sie fertig war, drückte sie Grays Hand, und ohne seinen Gesang zu unterbrechen, zog er sie schwungvoll in seine Arme hinauf, küsste sie auf die Wange und bettete sie wieder auf das Sofa. Er streifte ihr das verschwitzte Nachthemd vom Leib, und ohne besonders auf die weiblichen Reize zu achten, die sich ihm plötzlich so üppig darboten, zog er ihr ein neues an, das sauber, trocken und bequem war. Dann küsste er sie noch einmal, legte ihr den Zopf über eine ihrer schmalen Schultern und sah sie weich an, voller Bewunderung und Zärtlichkeit.
»Was immer du auch denkst«, sagte er leise und nahm ihre Hand, »ich liebe dich. Jetzt und für immerdar. Was du auch sagst oder tust, nichts kann an meinen Gefühlen für dich etwas ändern; sie sind so beständig wie das Kommen und Gehen von Ebbe und Flut und das Leuchten von Mond und Sternen.« Liebevoll und innig schauten die blauen Augen auf sie herab. »Ich liebe dich, Maeve.«
Er hob ihre Hand an die Lippen, küsste sie und legte sie behutsam wieder neben sie. Dann stand er nur noch da, ohne den Blick von ihr zu wenden, und ein zärtliches Lächeln umspielte seinen Mund.
»Jetzt schlaf ein bisschen.« Er ging zur Tür, wo er jedoch noch einmal stehen blieb, um mahnend einen Zeigefinger zu heben. »Das ist ein Befehl.«
18.Kapite l
El Perro Negro, der z usammen mit den sechs anderen Überlebenden seiner blutrünstigen Mannschaft in einem kleinen, engen Verlies tief unten im Bauch der Triton eingesperrt war, erwachte etwa zur gleichen Zeit wie Maeve einige Decks über ihm.
Vielleicht hätte er ewig weitergeschlafen und wäre in seinem eigenen Blut erstickt, hätte Pig-Eye - »Schweinsauge« - ihn nicht aus seinem benommenen Dämmerzustand gerissen, weil er meinte, sich um ihn kümmern zu müssen - weniger aus einem Ansatz von Fürsorglichkeit denn aus Angst vor seinem Anführer.
»Capitän!« Da war die Stimme wieder, die in sein umnebeltes Bewusstsein drang, und er spürte vage einen Druck um seinen Arm, als irgendjemand einen Verband fester wickelte. O ja, jetzt erinnerte er sich wieder. Das Kauffahrteischiff ... der Schoner ... ein erbitterter Kampf zwischen Pistolen und Entermessern ... und die dunkelhäutige Afrikanerin, die plötzlich aus dem Rauch aufgetaucht war und ihn angegriffen hatte, gerade als er die ganze Ladung seiner Pistole in ihre Kapitänin, diese puta, hineinjagte. Zumindest war ihm noch die Genugtuung geblieben zu sehen, wie das ungläubige Staunen auf dem Gesicht der Piratenkönigin ausgelöscht wurde. Dann war es dunkel um ihn geworden ...
Er hoffte, dass sie nun in der Hölle schmorte, die alte Schlampe! Fluchend versuchte er, aus seinem dumpfen Schmerz aufzutauchen, und schlug die Augen
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