Königin der Piraten
auf.
»Ah, Capitän, Ihr seid wach! Gott sei Dank!«
Das war Pig-Eye, dessen Gesicht in der Finsternis kaum zu erkennen war. »Idiota!«, fuhr El Perro Negro ihn an, denn als er allmählich zu sich kam, verspürte er im linken Arm ein wahnsinniges Reißen, das ihm bis in die Schulter hinaufzog. »Warum hast du mich nicht in Ruhe gelassen, du Stück Dreck?!« Doch noch während er sich aufsetzte und an dem zu fest gewickelten Verband zerrte, für den der treue arme Teufel sein eigenes Hemd in Streifen gerissen hatte, wurde ihm klar, dass sein Zustand ernst war, und sein Überlebensinstinkt, den er auf der jahrelangen Flucht vor dem Gesetz geschult hatte, gewann die Oberhand. Er stieß Pig-Eye brutal zur Seite, rappelte sich auf und stolperte prompt über einen seiner Piraten, der stöhnend am Boden lag. Wütend versetzte er ihm einen Tritt und tastete verzweifelt die verriegelte Tür ab.
»Es hat keinen Zweck, Capitän«, sagte Pig-Eye niedergeschlagen. »Wir haben schon versucht zu entkommen. El Almirante ist nicht dumm. Er hat nicht nur die Tür verriegeln lassen, sondern es steht auch noch eine Wache davor, um sicherzugehen, dass wir uns ... benehmen. Wir kommen hier nicht raus.«
»Was soll das heißen, wir kommen hier nicht raus? Was zum Teufel redest du da?«
»Wir sind Gefangene, Capitän«, erwiderte Pig-Eye nervös. »Nach Euren Schüssen auf die Piratenkönigin haben ihre Weiber sie geholt, sind zurück auf den Schoner geflüchtet und haben uns eine Breitseite gegeben, bei der die meisten von uns ums Leben gekommen sind. Wir können vielleicht gut kämpfen, aber wir sind auch nur aus Fleisch und Blut - gegen Kanonenkugeln sind wir machtlos. Bevor wir wieder richtig zu uns gekommen sind, haben sie die Überlebenden unter uns überwältigt und uns zu Nelson geschleppt ...«
»Zu Nelson?!« El Perro Negro packte Pig-Eye am schmutzigen Kragen und brach ihm fast das Genick, so brutal zog er ihn zu sich heran. »Wir sind auf Nelsons Schiff? Du elender Narr, warum hast du das nicht gleich gesagt?«
Pig-Eye zuckte zurück. Seine Augen leuchteten weiß in der Dunkelheit, und der beißende Gestank seines Angstschweißes überlagerte andere, fauligere Gerüche - den Gestank von Leckwasser, Rattendreck, feuchtem Holz und, näher noch, Blut und Erbrochenem. »Ich habe nicht gesagt, dass wir auf Nelsons Schiff sind, Capitän«, erklärte Pig-Eye zitternd. »Wir sind auf dem Schiff von El Almirante, ja, aber nicht von Admiral Nelson ...«
»Von welchem Admiral denn dann?«, brüllte El Per ro Negro und versetzte Pig-Eye einen Stoß. Er hörte ihn gegen eine Wand krachen und mit einem Schmerzensschrei zu Boden stürzen.
Eingeschüchtertes Schweigen. Dann die Antwort: »Sir Graham Falconer.«
El Perro Negro erstarrte. Wie angewurzelt stand er da, und die Angst kroch ihm den Rücken hinauf, wie ein Gletscher sich aus einem Gebirge herunterschiebt. Ihm lief die Galle über, und ein bitterer Geschmack nach Kupfer erfüllte seinen Mund. Er schlug mit der Faust an die Wand, und als er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, schmierte er den kalten Schweiß, der ihm plötzlich ausbrach, über seine trockene, wächserne Haut. Falconer. Der englische Admiral würde kurzen Prozess mit ihm machen, vor allem, nachdem er das Kauffahrteischiff gekapert hatte. Ganz zu schweigen davon, dass er dessen ganze Mannschaft umgebracht hatte, einschließlich des jungen Kapitäns. Und doch ...
Und doch war er noch am Leben.
Warum?
Jacky, der seine Gedanken zu lesen schien, meldete sich aus einer dunklen Ecke: »Ihr könnt Euch bei Renaldo dafür bedanken, dass wir verschont worden sind, Capitän. Er hat El Almirante gesagt, wir hätten auf unserem Zweimaster einen Kaperbrief des französischen Admirals Villeneuve, stimmt's, Renaldo?«
Die Gestalt auf dem Boden, der El Perro Negro zuvor den Tritt versetzt hatte, setzte sich auf. »Ja ... und der Hundesohn hat mir sogar geglaubt.«
Mit einem zitternden Seufzer atmete El Perro Negro aus und lachte hysterisch auf. »Ich muss schon sagen, Renaldo, du überraschst mich immer wieder.« Er ging zu dem Kameraden hinüber, bückte sich und zog ihn unsanft auf die Beine. »Vielleicht hast du uns damit immerhin etwas Zeit erkauft.«
»Gar nichts habe ich erkauft«, versetzte Renaldo bitter. Er rieb sich die Stelle, an der sein Kapitän ihn in die Rippen getreten hatte. »Sobald Falconer herausfindet, dass wir keinen Kaperbrief und damit kein Recht haben, wie Kriegsgefangene behandelt zu
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