Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
große Hütten, viele Menschen. So viele Gerüche. Da.« Sie deutete auf einen Straßenverkäufer. »Dort gibt es Nahrung.«
»Später.« Er zog sie hinter sich her über den Gehsteig. »Mein Auto steht ein paar Blocks weiter in einer Garage.«
»Der Boden ist aus Stein.«
Er musste sie hochziehen, denn sie hatte sich vorgebeugt, um mit der Faust den Untergrund zu prüfen.
»Das ist Beton. Die Menschen stellen ihn her und gießen ihn auf den Boden.«
»Wieso? Ist die Erde giftig?«
»Nein. So ist es nur einfacher.«
»Wieso einfacher? Die Erde war doch schon da.« Mit
offenem Mund blieb sie erneut stehen, diesmal um einem Krankenwagen nachzusehen, der mit heulenden Sirenen und eingeschaltetem Blaulicht vorbeiraste. »Herrscht Krieg?«
»Nein, das ist ein Transportmittel für Kranke und Verwundete.«
Auf dem kurzen Weg zu seiner Garage musste sie noch einige andere Wunder verarbeiten, wie die Läden, in denen die Waren hinter Glas eingesperrt waren, die vorüberhastenden Menschenmengen, den Lärm der Maschinen, die auf der breiten Steinstraße an ihnen vorbeirollten.
»Diese Welt ist voller Lärm«, stellte sie fest. »Das gefällt mir. Was sind das für Bäume?«, wollte sie wissen, wobei sie mit der Faust gegen einen Telefonmast schlug.
»Das erkläre ich dir später. Sag einfach gar nichts.«
Kadras Hand in eisernem Griff haltend, schlenderte Harper in die Garage. Im Vorübergehen grüßte er den Parkwächter, der sich die Zeit mit einer Illustrierten vertrieb. Bei Kadras Anblick blieb ihm der Mund offen stehen.
»Oh, Baby! Du bist aber eine Augenweide.«
»Warum hat er mich ›Baby‹ genannt?«, erkundigte sie sich, als Harper sie ins Treppenhaus zog. »Ich bin doch kein Neugeborenes.«
»Das ist nur so ein Ausdruck. Ein Kosewort oder eine Beleidigung, das kommt auf den Standpunkt an.« Auf der zweiten Ebene ging er an einer Reihe geparkter Autos vorbei und blieb an seinem geliebten 68er Mustang stehen. Er sperrte auf und öffnete die Beifahrertür. »Steig ein.«
Sie schnupperte, erkannte den Geruch von Leder und war zufrieden. Als er sich hinters Steuer setzte, fummelte sie bereits an den Anzeigen herum und spielte mit dem Schalthebel.
»Nicht anfassen.« Er gab ihr einen Klaps auf die Finger. Zum Ausgleich versetzte sie ihm mit dem Ellbogen einen Kinnhaken.
»Schluss jetzt.« Er schob ihren Arm weg und griff nach ihrem Sicherheitsgurt. »Du musst dich anschnallen, das ist Vorschrift.«
Als er sich vorbeugte, um das Gurtschloss einrasten zu lassen, merkte er, dass sie immer noch beleidigt war. »Du kannst mich wirklich zur Weißglut treiben«, murrte er.
»Ist das auch ein Ausdruck?«
»Ja, er bedeutet …«
»Dafür brauche ich keine Erklärung. Du findest mich aufregend.«
»So ungefähr.« Er fuhr ihr mit den Fingern über die Wange. Dann öffnete er das Handschuhfach und ließ eine Sonnenbrille in ihren Schoß fallen. »Aber damit beschäftigen wir uns, wenn wir diese Dämonen erledigt haben.«
4
S IE MUSSTE ÜBER vieles nachdenken.
Sie war in erster Linie körperlich orientiert. Wenn sie hungrig war, aß sie. Wenn sie müde war, schlief sie. Ihr ganzes Leben lang war ihr oberstes Ziel die Jagd gewesen.
Es war eine heilige Aufgabe, eine Gabe, die man ihr anvertraut hatte.
Dafür war sie geboren, erzogen und geschult worden.
Aber eine Jägerin lebte nicht lange, wenn sie nur ihre Kraft und nicht ihr Gehirn verwendete.
So faszinierend ihre erste Autofahrt, die hohen Gebäude und die vielen Menschen, das Hupen, die Musik und die Stimmen waren, ihr Gehirn war noch mit einem anderen Problem beschäftigt.
Sie war an diesen Ort und zu diesem Mann geschickt worden. Ihre beiden Schicksale waren daher miteinander verflochten. Sie würde ihn und seine Leute mit ihrem Leben schützen.
Er war ein Sucher, und als solcher verdiente er Respekt. Aber als Jägerin stand sie im Rang höher als er. Über ihr gab es nur noch die Kaste der Zauberer, und wenn Rhee die Wahrheit gesprochen hatte, floss auch deren Blut in ihr.
Der Mann hatte kein Recht, ihre Autorität für sich zu beanspruchen. Dafür musste er in seine Schranken gewiesen werden.
Andererseits hielten sie sich in seiner Welt auf, von der er mehr verstand als sie. Wenn er sie führen sollte, musste sie ihm folgen, auch wenn ihr das missfiel.
Sie begehrte ihn. Das war ein angenehmes Gefühl, aber gleichzeitig ärgerte sie sich darüber. Er war stark und gut aussehend, witzig und intelligent – und begehrte sie seinerseits.
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