Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
wenn eine Frau, die kein Unrecht getan hatte, für die Verbrechen, Torheiten und Verderbtheit ihrer Vorfahren eingesperrt wurde?
Sie war zu schön, um vom Rest der Welt abgeschottet zu leben, zu klein und zart, um ihre Hände blutig zu arbeiten. Statt des groben, selbst gewebten Stoffes hätte sie Seide und Hermelin tragen sollen.
Nach nur einer Woche auf der Winterinsel wurde er bereits
unruhig, weil er sich nach Farbe und Wärme sehnte. Wie war es möglich, dass sie, die nicht einen einzigen Sommer erlebt hatte, nicht den Verstand verlor?
Er wollte ihr die Sonne bringen.
Sie sollte lachen. Es beunruhigte ihn, dass er sie nicht einmal hatte lachen hören. Ein Lächeln hatte er gesehen, das überraschend warm war, wenn es ihre Augen erreichte. Und er wollte es wieder sehen.
Er stapfte durch den Schnee zu einem Hof. Obwohl seine Wunde beim Aufwachen geschmerzt hatte, fühlte er sich schon wesentlich kräftiger. Er musste sich beschäftigen, damit sein Blut in Schwung kam und sein Geist wach blieb. Bestimmt gab es irgendeine Aufgabe, die er für sie erledigen konnte. Damit konnte er sich ihr zumindest ein wenig erkenntlich zeigen. Außerdem konnte er sich so ablenken, während sein Körper heilte.
Ihm fiel der Hirsch ein, den er im Wald gesehen hatte. Er würde für sie jagen und ihr Fleisch bringen. Der Wind, der tagelang ohne Unterbrechung über das Eis gepeitscht war, hatte sich endlich gelegt. Obwohl die völlige Stille, die folgte, an seinen Nerven zerrte, würde er so im Wald Spuren lesen können.
Er ging zu einem breiten Torbogen auf der anderen Seite des Hofes und blieb wie angewurzelt stehen.
Das musste der Rosengarten gewesen sein. Verkrüppelte, schwarz verfärbte Stängel ragten aus dem Schnee. Wie schön musste es hier gewesen sein, als die Luft noch von Farben und Düften und vom Summen der Bienen erfüllt war.
Nun erstreckte sich hier nur noch eine große Schneefläche, die durch anmutig geschwungene Pfade aus silbernen Steinen unterbrochen wurde, die irgendjemand geräumt
hatte. Die Stängel von hunderten abgestorbener Büsche stachen aus ihren kalten Gräbern wie geschwärzte Knochen.
Die eleganten Bänke in den vollen Farben der Edelsteine waren ebenfalls von Schnee und Eis befreit worden. Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün glänzten inmitten der erbarmungslos öden Welt. Ein kleiner Teich in Gestalt einer offenen Rose war von einer Eisfläche überzogen, die noch die Wellen des Wassers zeigte. Tote Äste mit bösartigen Dornen würgten eiserne Lauben. Skelettartige Pflanzenreste kletterten die silbernen Steine der Mauern empor, als hätten sie zu fliehen versucht, bevor sie vom Winter eingeholt wurden.
Alle Pfade führten zu einer mächtigen Eissäule. Unter der durchscheinenden Oberfläche wölbten sich dornige, vom Frost geschwärzte Äste. Hunderte verwelkter Blüten waren im Augenblick ihres Todes eingefangen worden.
Von diesem Rosenbusch waren die Blumen der Lüge gepflückt worden. Als er näher kam, stellte er fest, dass es sich eher um einen Baum handelte, denn der Busch war höher als er selbst und breiter als die Spanne beider Arme. Er fuhr mit den Fingerspitzen über das glatte Eis. Versuchsweise nahm er den Dolch aus seinem Gürtel und fuhr mit der Spitze über das Eis. Er hinterließ keine Spur.
»Mit Gewalt lässt sich da nichts ausrichten.«
Als Kylar sich umwandte, stand Orna im Durchgang. »Was ist mit den anderen Pflanzen? Warum sind die toten Zweige nicht abgehackt und als Feuerholz verwendet worden?«
»Weil wir damit alle Hoffnung aufgegeben hätten.« Sie hatte noch Hoffnung, die neu aufkeimte, als sie in Kylars Augen sah.
Denn dort fand sie, was sie brauchte. Aufrichtigkeit, Stärke und Mut.
»Sie geht hier spazieren.«
»Warum tut sie sich das an?«, wollte er wissen.
»Ich denke, es erinnert sie an das, was war. Und an das, was ist.« Aber nicht an das, was sein könnte. »Als meine Herrin erst acht Jahre alt war, starb der letzte unserer Hunde. Es brach meiner Herrin das Herz, und sie nahm das Schwert ihres Großvaters. In ihrem Kummer und Zorn versuchte sie, durch das Eis in den Busch zu hacken. Fast eine Stunde lang stach und schnitt und schlug sie darauf ein, aber die Oberfläche zeigte noch nicht einmal einen Kratzer. Am Ende brach sie dort, wo Ihr jetzt steht, auf die Knie und weinte, als wollte sie sterben. An jenem Tag starb zusammen mit dem letzten Hund etwas in ihrem Herzen. Seitdem habe ich sie nie wieder weinen hören. Ich wünschte, sie
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