Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
Mutter, dachte sie. Vermutlich hielt sie in diesem Augenblick Ausschau nach ihm.
»Der Weg ist schwierig und gefährlich. Aber Ihr habt ein Pferd, und wir werden Euch Proviant mitgeben. Einer meiner Männer wird Euch so weit wie möglich begleiten. Mehr kann ich nicht für Euch tun.«
Für den Augenblick schob er den Gedanken beiseite. Wenn die Zeit kam, würde er seinen Weg nach Hause schon finden. »Erzählt mir, wie dieser Ort entstanden ist. Ich habe Geschichten gehört von Verrat, Hexerei und einem Zauber, der ein einst fruchtbares, friedliches Land in ewiger Kälte versinken ließ.«
»So heißt es.« Sie erhob sich erneut, um das Feuer zu schüren. »Als mein Großvater König war, gab es hier Felder und Wiesen. Das Land war grün und fruchtbar, und im See
gab es reichlich Fische. Das Wasser soll damals blau gewesen sein. Habt Ihr so etwas je gesehen?«
»Ja, das habe ich.«
»Wie kann es blau sein?«, fragte sie und wandte sich nach ihm um. Verwirrung spiegelte sich auf ihrem Gesicht und ein Eifer, der sie sehr jung wirken ließ.
»Darüber habe ich nie nachgedacht«, gab er zu. »Manchmal sieht es blau aus, dann wieder grün oder grau. Es verändert seine Farbe, wie der Himmel es tut.«
»Mein Himmel bleibt immer gleich.« Ihre eifrige Miene verschwand, als sie zum Fenster ging. »Nun ja«, sagte sie und richtete sich hoch auf. »Mein Großvater hatte zwei Töchter, Zwillinge. Seine Frau starb bei ihrer Geburt, und es heißt, er habe sein Leben lang um sie getrauert. Die Kinder wurden Ernia und Fiona genannt. Fiona sollte meine Mutter werden. Er liebte sie beide. Die meisten Eltern lieben ihre Kinder, nicht wahr?«
»Die meisten«, stimmte er zu.
»So war es auch bei ihm. Die beiden waren schön wie ihre Mutter, und wie diese besaßen sie besondere Gaben. Ernia konnte Sonne, Regen und Wind herbeirufen, während Fiona es verstand, mit Tieren und Vögeln zu sprechen. Aber es heißt, sie hätten ständig miteinander um die Gunst ihres Vaters gekämpft, obwohl dieser beide liebte. Habt Ihr Geschwister, Prinz?«
»Einen Bruder und eine Schwester. Beide sind jünger als ich.«
Sie sah sich nach ihm um. Die Augen hatte er von seiner Mutter, aber deren Haar war hell gewesen. Vielleicht hatte sein Vater pechschwarzes, seidiges Haar.
»Liebt Ihr Eure Geschwister?«
»Sehr.«
»So sollte es auch sein, aber Ernia und Fiona konnten einander nicht lieben. Vielleicht weil sie dasselbe Gesicht hatten und jede ihr eigenes haben wollte. Wer weiß das schon? Sie wuchsen zu jungen Frauen heran, und mein Großvater wurde alt und krank. Vor seinem Tod wollte er sie verheiratet und versorgt wissen. Ernia verlobte er mit einem König in einem Land jenseits der Elfenhügel, und meine Mutter versprach er einem König, dessen Länder östlich von den unseren lagen. Die Rosenburg sollte meiner Mutter gehören, und der Palast der Seufzer an der Grenze zu den Elfenhügeln meiner Tante. So teilte er seine Reichtümer und sein Land gerecht zwischen beiden auf, denn er war ein weiser Herrscher und ein liebender Vater.«
Sie setzte sich und nahm einen Schluck von ihrem kalten Tee. »In den Wochen vor den Hochzeitsfeiern kam ein Reisender auf die Burg, den man so gastfreundlich empfing wie damals alle Fremden. Er sah gut aus, war klug und wortgewandt. Sein Charme verzauberte alle. Seine Stimme war die eines Engels, denn er war Minnesänger. Aber ein schönes Äußeres ist kein Spiegel des Herzens.«
»Ein schönes Gesicht ist nur ein Gesicht.« Kylar zuckte mit einer Schulter. »Die Taten machen den Mann.«
»Oder die Frau«, setzte sie hinzu. »Davon war ich immer überzeugt, und so war es auch in diesem Fall. Dieser schöne Mensch warb insgeheim um beide Zwillinge und verführte sie. Beide verliebten sich in ihn. Mit einer roten Rose schlich er sich ins Bett meiner Mutter und ihrer Schwester. Beiden machte er leere Versprechungen, die er nie zu halten beabsichtigte. Warum lügen Männer, wenn Frauen lieben?«
Die Frage verschlug ihm die Sprache. »Königin Deirdre … nicht alle Männer sind Lügner.«
»Vielleicht nicht.« Es klang nicht sehr überzeugt. »Aber er war einer. Eines Abends kamen beide Schwestern in den Rosengarten, um für ihren Liebhaber eine rote Rose zu pflücken. Dort wurde sein Lügengespinst entdeckt. Doch anstatt einander zu trösten und sich gegen den Mann zu empören, der sie beide getäuscht hatte, wandten sie sich gegeneinander. Sie kämpften wie Wölfinnen um einen unwürdigen Schakal. Ernias
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