Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
Vom Netzwerk:
der Sohn eines Metzgers war. Im Jahr 1525 begann Wolseys Stern am Himmel des Königs zu sinken, da er ihn auch in der Angelegenheit seiner Scheidung von Catherine von Aragon nicht zufrieden stellen konnte. Als ihn König Henry bei einem Besuch in Hampton Court nun fragte, ob er mit dieser Residenz ihm, dem gekrönten König, Konkurrenz machen wolle, versicherte Wolsey rasch, er habe den Palast nur bauen lassen, um ihn seinem über alles geliebten Souverän zu schenken. Wolsey, zwar eitel und immer auf eigenen Vorteil bedacht, aber nicht dumm, hatte in der spaßig formulierten Frage des Königs deutlich dessen Unwillen darüber erkannt, dass der Lordkanzler über einen prachtvolleren Besitz verfügte als er selbst.
Schlussendlich rettete dieses wahrhaft fürstliche Geschenk Wolsey nicht. Schon lange hatte er sich in Anne Boleyn eine Feindin geschaffen, und als diese Henrys Frau und Königin wurde, war es für den Kardinal nur noch ein kurzer Schritt zum Schafott. Vielleicht war es sein Glück, dass er während des Transports von York in den Tower an einer Krankheit starb, wenn auch die Londoner Bevölkerung nur zu gerne seinen abgeschlagenen Kopf aufgespießt auf der London Bridge gesehen hätte.
Das war alles schon einige Jahre her, und Antonia verschwendete keinen Gedanken mehr an die Vergangenheit, als sie sich dem Palast näherten. Es herrschte ein dichtes Gedränge, und Menschen wuselten wie im Bienenstock durcheinander: Bettler und Landstreicher hofften auf eine milde Gabe, Kauf-und Handwerksleute priesen ihre vielfältigen Waren an. Dazwischen strebten vornehm gekleidete Damen und Herren auf das Westtor zu, das für das einfache Volk verschlossen blieb. Dass kein Ungebetener den Palast betrat, dafür sorgten die an sämtlichen Zugängen postierten, in Grün und Weiß gekleideten Wachen, die mit ausdruckslosem Gesicht jede Person genau kontrollierten. Fasziniert sog Antonia die vielen neuen Eindrücke auf. Nie zuvor hatte sie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen, wobei jeder genau zu wissen schien, wohin er ging und was er wollte. Doch erschreckte Antonia dies alles nicht im mindesten, im Gegenteil, das Wissen, bald Anteil zu haben an dieser hektischen Betriebsamkeit, ließ sie vor Aufregung erzittern. Vielleicht würde sie selbst eines Tages in einer solchen prachtvollen Livree für die Sicherheit des Königs Sorge tragen können. Dass Antonia eigentlich nach Hampton Court gekommen war, um ihrem Vater als Mädchen gegenüberzutreten, vergaß sie in diesem Augenblick völlig.
Langsam trabten die Pferde durch das große Torhaus, und sie gelangten in einen Innenhof, der zu allen Seiten von prachtvollen zweistöckigen Bauten aus rotem Backstein umgeben war. Sir Norman saß ab, und Antonia folgte ihm, sie führten die Pferde am Zügel nach links durch ein weiteres Tor, durchquerten einen kleineren Innenhof, um gleich wieder nach rechts auf ein Gelände zu gelangen, auf dem sich zahlreiche junge Männer im Schwertkampf übten.
»Was für ein Labyrinth«, murmelte Antonia. Ihre Aufmerksamkeit wurde dann aber von einem kräftigen Mann mittleren Alters in Anspruch genommen, der die Ankömmlinge dienernd begrüßte.
Sir Norman drückte ihm die Zügel in die Hand und sagte: »Seid gegrüßt, Master Rowse. Bitte kümmert Euch um mein Pferd. Ich bringe Euch einen neuen Schützling – Anthony Fenton, Sohn von Lord Thomas Fenton und mein Knappe. Macht einen guten Kämpfer und einen Mann aus ihm!«
Antonia lächelte den Ausbilder freundlich an, doch dieser kniff nur die Augen zusammen und musterte sie kritisch.
»Was ist denn das für ein Jüngelchen?« Seine Stimme war im Gegensatz zu seinem derben Aussehen relativ hoch.
Antonia fand ihn vom ersten Augenblick an unsympathisch, zumal Master Rowse nur noch wenige schwarze Zahnstummel im Mund hatte und ihm, wenn er sprach, Speichel aus dem Mundwinkel lief. Instinktiv wusste Antonia, dass es nicht leicht sein würde, mit diesem Mann auszukommen. Trotzdem sagte sie freundlich: »Ich mag zwar jung an Jahren sein, aber ich hatte einen sehr guten Waffenmeister, der mich bisher ausgebildet hat.«
Master Rowses Gesicht kam so dicht an Antonias heran, dass sie seinen schlechten Atem riechen konnte. »Du redest hier nur, wenn du gefragt wirst. Ist das klar?« Seine Hand schnellte nach vorne und fuhr so geschwind über ihr Kinn, dass Antonia den Kopf nicht hatte wegdrehen können. »Du kannst dich anscheinend noch mit dem Handtuch rasieren!«
Er lachte gackernd, was ihm jedoch

Weitere Kostenlose Bücher