Königin für neun Tage
House, dem Hauptsitz der Dudleys in London. Das große, um einen Innenhof gebaute viereckige Haus war einst das Heim des Lordprotektors Edward Seymour gewesen und nach dessen Hinrichtung John Dudley übereignet worden. Da Syon House ebenso wie das Haus in Chelsea am Ufer der Themse lag, benutzten sie für die Fahrt eine Barke, um sich den Weg durch die verschmutzten Straßen der Stadt zu sparen. Der Frühlingstag war wunderschön, die Sonne warm und die Vögel zwitscherten um die Wette. Die Natur schien so gar nicht zu Janes trüber Stimmung zu passen. Sie und Antonia saßen unter dem Baldachin im Schatten, und das Ufer mit seinen herrschaftlichen Anwesen zog langsam an ihnen vorbei. Jane war nach Syon House zur ersten Anprobe ihres Hochzeitskleides bestellt worden. Die Hochzeit selbst sollte in Durham House, ebenfalls einem ehemaligen Besitz Edward Seymours, stattfinden. Es würde eine dreifache Hochzeit werden, denn Janes jüngere Schwester sollte mit Lord Herbert und Catherine Dudley mit Henry Hastings vermählt werden. Dass nicht sie allein im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand, war Janes einziger Trost. Allerdings würde ihre Schwester nach der Trauung mit den Eltern nach Bradgate Park zurückkehren, ihre Ehe würde erst in einigen Jahren vollzogen werden. Es handelte sich um eine rein politische Verbindung. Sie, Jane, allerdings würde in wenigen Tagen für immer an Guildford Dudley gekettet sein.
Seit Tagen waren in Syon House vier Näherinnen mit dem Anfertigen der drei prächtigen Brautgewänder beschäftigt. Jane stand in der Mitte des Raums auf einem Schemel, während zwei Näherinnen an ihr herumhantierten: Hier wurde eine Falte weggenommen, dort der Saum etwas gekürzt und die Länge der Borte neu abgemessen. Das schwere Gewand, dessen Oberteil aus über und über mit Edelsteinen besetztem Goldbrokat bestand, schien die zarte Gestalt beinahe zu erdrücken.
In Janes Gesicht leuchteten die Sommersprossen wie nie zuvor, so dass eine Dame verzweifelt in die Hände klatschte und rief: »Mylady, Ihr dürft Euch ab sofort keinen Augenblick mehr der Sonne aussetzen! Oder wollt Ihr wie eine Bäuerin vor den Altar treten?«
»Ich will gar nicht heiraten«, murmelte Jane, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Rasch trat Antonia zu ihr und drückte ihre Hand.
»Das Kleid ist wunderschön!«, sagte sie. »Es ist das schönste Brautkleid, das ich je in meinem Leben gesehen habe.«
Jane blickte sie zweifelnd an. »Mir gefällt es nicht. Es macht mich zu einer Frau, die ich nicht bin. Ich sehe darin protzig und vulgär aus!«
»O nein, Mylady! Wie könnt Ihr so etwas sagen?«, rief eine Näherin entsetzt. »Es ist der wertvollste französische Brokat, den ich jemals in den Händen gehalten habe. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass Eure Eltern keine Kosten und Mühen scheuen, Euch zur schönsten Frau in ganz England einzukleiden.«
»Alles nur Maskerade«, murmelte Jane so leise, dass es nur Antonia verstehen konnte.
Jane war erleichtert, als die heutige Anprobe beendet war und sie wieder in ihr schlichtes, dunkles Wollgewand schlüpfen konnte. Mary, Guildfords Schwester, bat sie und Antonia in ihr Zimmer, wo ein erfrischender Wein und kleine Kuchen serviert wurden.
Mary fächelte sich Luft zu und meinte: »Ich hoffe, wir bekommen nicht wieder so einen warmen Sommer wie im vergangenen Jahr. Mit der Hitze kommt auch das Schweißfieber.«
Jane wusste, dass die Dudleys im letzten Jahr drei Familienmitglieder an die schreckliche Krankheit, die so völlig überraschend auftauchte und binnen weniger Stunden zum Tode führte, verloren hatten: die jüngste Schwester, Temperance, Ambroses Frau und ihren kleinen Sohn.
Mary, die seit vier Jahren mit Harry Sidney verheiratet war, hoffte bislang vergeblich auf ein eigenes Kind, darum sagte sie: »Vater ist schrecklich ungeduldig, weil nun schon vier von uns Geschwistern verheiratet sind, er aber immer noch kein Enkelkind hat. Ich glaube, du solltest ihm diesen Wunsch recht bald erfüllen, Jane.«
Mit blitzenden Augen wandte sich Jane ihr zu. »Ich werde niemals ein Kind haben! Niemals!«
»O Jane, wie kannst du so etwas sagen?« Besorgt kniete Antonia neben der Freundin. »Das bringt Unglück!«
»Es ist aber die Wahrheit«, beharrte Jane. »Ich spüre es irgendwie tief in mir drin. Wahrscheinlich kommt es daher, dass ich täglich zu Gott bete, Guildford nicht heiraten zu müssen.«
»Aber Jane! Warum?« Überrascht fuhr Mary von ihrem Stuhl in die
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