Königliche Republik (German Edition)
verfinsterte sich. „Dario wird uns
noch alle ins Unglück stürzen. Und dein Vater macht
neuerdings die Augen zu.“
Das
war die eigentliche Frage: Warum tat Enzo nichts? Glaubte er etwa,
Dario und die Familie auf diese Weise zu schützen? Einfach
dadurch, dass er Dario unter seinen Augen hatte? Nachdenklich trug
Mirella den Kaffee hinunter zum Kontor. Die letzten Stufen achtete
sie darauf, dass ihre Absätze nicht auf den Steinstufen
klapperten und vor der Tür blieb sie einen Moment stehen, um zu
lauschen. Aber die Männer hätten sich schon streiten
müssen, dass etwas nach außen dränge.
Leise
drückte sie die Klinke herunter.
Sie
hatten eine Karte auf dem Tisch ausgebreitet und Darios Finger lag
oberhalb des Ortszentrums darauf. Es war eine Karte, die teilweise
aus Bildern bestand und in der nicht nur Straßenzüge,
sondern auch Gebäude und Mauern eingezeichnet waren; in einer
Ecke das Stadtwappen von Neapel.
Marotti
hob den Kopf; dann rollte er schnell die Karte ein. „Machen wir
erst einmal dem Kaffee Platz.“
Mirella
stellte das Tablett mit den Tassen in die Mitte des Tischs. Als sie
nach der Kaffeekanne griff, hob Dario abwehrend eine Hand. „Ich
mach das, Mirella!“
Sie
nickte und trat wieder einen Schritt zurück. Aus den
Augenwinkeln schielte sie nach der zusammengerollten Karte. Wie käme
sie dazu, unauffällig noch einen Blick darauf zu werfen?
Sie
drehte sich so schwungvoll zur Tür um, dass ihre Röcke weit
aufflogen. Dabei gelang es ihr, die Karte zu streifen; aber die fiel
nicht und rollte erst recht nicht auseinander.
Mirella
bückte sich dennoch und griff schnell danach. „Beinahe
hätte ich ihr einen Schaden zugefügt.“ Sie nahm sie
an einer Kante hoch, sodass sie ein Stück auseinander rollte.
„Ich lege sie besser auf den Sekretär, bis die Herren
ihren Kaffee ausgetrunken haben.“
Dario
knurrte ärgerlich und stand auf. Aber bevor er sie ihr wegnehmen
konnte, hatte sie sie schon auf den Sekretär gelegt und
ausgebreitet. Darios Finger hatte auf Formiello gelegen.
„Gib
her!“
Sie
sah ihn vorwurfsvoll an. „Was hast du denn? Ich bin doch ganz
vorsichtig.“
Er
funkelte sie an, wagte aber nicht, in Gegenwart der anderen noch
etwas zu sagen.
Mit
schnellen Bewegungen rollte Dario die Karte wieder ein und band sie
mit einem blauen Seidenband zu.
„Bringst
du das Geschirr dann auch selber in die Küche?“ Sie drehte
sich noch einmal um, als erwarte sie eine Antwort. Dario stellte
gerade die Karte in den Bücherschrank. Mit einer Grimasse und
einem ärgerlichen Achselzucken ging sie hinaus.
„Und?“
„Was
und?“ Mirella wunderte sich ein wenig über Ginas
plötzliches Interesse. Eigentlich mochte sie ihr gar nichts
erzählen.
„Du
bist nicht sehr gesprächig auf einmal.“
„Es
gibt auch nichts zu sagen.“ Mirella griff nach einem Messer und
begann, die Rüben für das Mittagessen zu schälen.
Wieder
erntete sie einen überraschten Blick von Gina, aber sie
ignorierte ihn. „Was essen wir außer diesen Rüben?“
Gina
war abgelenkt. „Wir haben noch zwei Eier. Mit der Milch und dem
Speck zusammen gibt das einen guten Auflauf.“
„Milch?
Ich muss sie holen.“ Mirella schälte schneller. „Ich
habe die ganze Kanne ins Kontor gebracht.“
„Auch
die werden ihren Kaffee nicht verdünnen damit.“ Aber Gina
würde die Kanne brauchen, bevor sie den Auflauf in den Ofen
schob.
Gina
zog den Korb fürs Holz unter dem Herd hervor. „Ist gleich
alle.“ Sie legte nach, was noch darin war. Ächzend erhob
sie sich.
Mirella
sprang auf. „Lass mich das machen; schone deine Knochen.“
Ehe Gina etwas einwenden konnte, nahm sie ihr den Korb ab und lief
hinaus. Mit klackernden Absätzen sprang sie die Stufen zum Hof
hinunter. Dann machte sie mit leisen Schritten einen Bogen und ging
am Kontor vorbei statt gleich zum Holzlager zu laufen.
Das
Fenster war geschlossen, aber der Vorhang klaffte einen Spalt breit
und gab den Blick auf die Hälfte des Raums frei. Die Tassen
standen nicht mehr auf dem Tisch; stattdessen lagen Papiere dort und
Petrarca feuchtete sich den Zeigefinger an, um sie schneller
durchzublättern. Dario trat mit Feder und Tintenfass ins
Blickfeld.
Mirella
ging leise die paar Schritte bis zur Mitte des Hofs, dann klapperte
sie zum Holzlager.
Fabrizio
kam aus dem Stall. „Ist das Holz für die Küche?“
Er nahm ihr den Korb ab.
Mirella
lief zum Kontor zurück. Dario saß nun am Tisch und
schrieb. Marotti tauchte in ihrem Gesichtsfeld auf und
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