Königliche Republik (German Edition)
betrat?
Sie
klopfte an die Fensterscheibe. Cristina öffnete so schnell, dass
sie dahinter gelauert haben musste.
Einen
Moment sah sie verblüfft aus, dann warf sie einen schnellen
Blick nach allen Seiten. „Wie freue ich mich, dass du endlich
einmal Zeit findest!“ Sie sprach laut, wie es Schwerhörige
zu tun pflegten. Das Fenster blieb offen, als sie im Hintergrund des
Raums verschwand. Gleich darauf stand sie in der Haustür. „Komm,
Kind. Dies ist kein guter Zeitpunkt für ein junges Mädchen,
sich auf der Straße herumzutreiben.“
„Warum?“
Mirella trat an ihr vorbei ins Haus.
Cristina
schloss die Tür. „Die da draußen suchen jemanden.
Sie haben zwei Gefangene abgeführt.“
Mirella
versuchte, ihr Erschrecken zu verbergen. „Geht uns das etwas
an, was die hohen Herren machen? So lange Sie eine Schokolade für
mich hat, soll es mir gleich sein.“
„Eine
Schokolade, Kind? Ja sicher. Der Wirt hat seine Schmuggler.“
Sie öffnete die Anrichte und holte einen Topf heraus.
„Und
damit Sie es niemandem verrät, fällt auch immer etwas für
Sie ab?“
Cristina
kicherte. „Ich würde auch schweigen, wenn ich das nicht
bräuchte. Freilich ist es nützlich.“
„Darf
ich?“ Mirella deutete auf den Platz am Fenster.
„Natürlich;
jetzt habe ich dich zur Unterhaltung.“
Mirella
seufzte; Fabrizio würde sich Sorgen machen. Aber er schien
inzwischen etwas zu ahnen; und gewiss war auch ihm klar, dass sie vor
der Dunkelheit besser nicht in die Stadt zurückkehrten.
Cristina
goss Wasser in den Topf und stellte ihn auf den Herd; dann legte sie
das Feuer nach. „Ich habe freilich keine Milch mehr für
die Schokolade.“
„Milch?
Ich habe seit Wochen keine Milch mehr getrunken.“ Mirella
wandte sich wieder dem Fenster zu und beobachtete die Straße,
bis Cristina mit den Tassen kam.
„Die
sind schon seit Stunden hier. Bei mir waren sie auch. Sie durchsuchen
alle Häuser.“ Cristina schenkte die Schokolade ein und kam
dann mit dem Zucker.
„Ein
Wunder, dass Sie noch Zucker hat.“ Bedauerlich; sie mochte die
Schokolade lieber bitter statt übersüßt.
„Auch
geschmuggelt.“
Mirella
deutete nach draußen. „Haben sie gesagt, was sie suchen?“
„Keine
Schmuggelware. Sie haben alle meine Schränke aufgemacht und kein
Wort zu meinen Schätzen gesagt.“
„Man
wird Ihren Schätzen kaum ansehen, wie lange sie sich schon in
Ihren Schränken befinden.“ Mirella setzte ein amüsiertes
Lächeln auf.
„Freilich;
aber sie haben doch etwas anderes gesucht. Mein Sekretär hat sie
am meisten interessiert.“
„Müssten
sie dazu nicht Neapolitanisch können?“
„Das
sind Neapolitaner fast alle.“ Cristina machte ein Gesicht –
wenn sie ein Mann wäre, hätte sie jetzt wohl ausgespuckt
vor Verachtung.
„Meint
Sie, dann könnten sie lesen? Wessen Soldaten sind das
überhaupt?“
„Kennst
du die Lilie auf den Schabracken nicht?“
„Ich
habe nicht darüber nachgedacht.“ Zu dumm sollte sie sich
nicht stellen. „Aber jetzt, wo Sie es sagt ... die Franzosen
also.“
„Nein
Italiener; fast alle.“
„Aber
was suchen sie denn hier?“
„Spione?
Verschwörer? Wer weiß schon, zu wem die halten, die da im Gallo bianco ein und aus gehen!“
„Und
wie kommen die darauf, ausgerechnet hier zu suchen?“ Mirella
nippte vorsichtig an der heißen Schokolade. Mit Wasser gekocht,
schmeckte sie noch widerlicher als beim letzten Mal. Aber vielleicht
hatte Cristina auch mehr Zucker hineingetan, um das Fehlen der Milch
auszugleichen. Tapfer trank sie einen großen Schluck.
„Es
gibt ein paar Nachbarinnen, die haben eine zu lose Zunge. Und nicht
alle sind neutral.“
Ein
wenig überrascht setzte Mirella ihre Tasse ab. „Neutral?“
Wie konnte jemand neutral sein?
Cristina
nickte eifrig. „Freilich; man tut sich keinen Gefallen –
niemandem –, wenn man sich nicht raushält.“
„Geht
das überhaupt – sich raushalten? Wenn überall in der
Stadt gekämpft wird?“
Aus
einem Haus traten zwei Soldaten und gingen dann in den Gallo
bianco . Nun musste sie auf jeden Fall warten.
„Nun
vielleicht ... Jemandem wie dem Wirt ist es sicher egal, wer die
Zeche bezahlt.“ Mirella deutete hinüber. „Jetzt hat
er ein paar Soldaten zu Gast.“
„Die
haben ihr Quartier dort aufgeschlagen.“ Cristina zuckte die
Achseln.
„Dann
ist er wohl doch nicht neutral.“ Nachdenklich kniff sie die
Augen zusammen. Was wäre, wenn ... Wer hatte gewusst, dass Dario
in Aversa zu finden war? Hatte der Wirt
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