Königliche Republik (German Edition)
Dario verraten hatte?
Ratlos drehte sie die Tasse zwischen den Fingern.
„Noch
eine Schokolade, ja? Genier dich nur nicht, Kind. Ich bin dir
wirklich dankbar für deine Gesellschaft.“
Geistesabwesend
nickte Mirella; lieber hier bis zur Dämmerung warten als in der
Schankstube. Das Volk, das dort abends auftauchen würde, war
gewiss keine Gesellschaft für sie.
Nachdem
sie die dritte Tasse der übersüßten Schokolade
hinuntergezwungen hatte, begann es zu dämmern. Die tief stehende
Sonne warf ihre Strahlen durchs Fenster und ließ den Staub
tanzen.
Die
Alte stand auf. „Ich muss Holz holen.“
„Ich
helfe Ihr.“ Sie warf noch einen Blick auf die Gasse. In der
Schankstube brannte anscheinend noch kein Licht. „Aber dann
muss ich nach Hause.“
„Freilich.
Jetzt ist es auch nicht mehr so gefährlich. Gekämpft wird
nur dort, wo es wegen der Brände hell genug ist.“
Mirella
war beklommen zumute, als sie danach hinüber zum Gasthaus ging.
Wie sollte sie etwas herausfinden und gleichzeitig den Wirt nicht
misstrauisch machen?
Vor
der Tür zögerte sie noch einmal; vielleicht sollte sie
Fabrizio nicht länger warten lassen und erst ... Sie griff nach
der Klinke und drückte sie mit einer heftigen Bewegung hinunter.
Auf
einem Tisch neben dem Schanktisch flackerte eine Kerze; mehr Licht
gab es nicht. Kein Wunder, dass die Schankstube von außen im
Dunkeln zu liegen schien.
Dort
saß, mit dem Rücken zu ihr, ein Soldat de Guises, tief in
seinen Umhang aus Enzos Filz verkrochen. ‚Nicht alle’,
hatte Cristina gesagt. Sie hätte ihr glauben sollen. Wenn er nun
fragte, was sie hier tat?
Als
ob sie damit verhindern könnte, dass er auf sie aufmerksam
wurde, schloss sie so leise wie möglich die Tür hinter sich
und blieb stehen.
Unvermutet
wie ein Springteufel tauchte der Wirt hinter dem Schanktisch auf.
„Ich warte schon seit Stunden auf Sie, Signorina Scandore!“
Der
Soldat warf seinen Stuhl um, als er aufsprang.
„Mirella!“
Bevor sie reagieren konnte, stand Alexandre vor ihr und packte sie
mit beiden Händen. „Was tut Ihr hier?“
Ihr
Blick irrte zum Wirt, der ein triumphierendes Grinsen im Gesicht
hatte.
Alexandre
packte sie fester, sein Griff tat ihr weh. „So ist es wahr!“
Seine Stimme barst.
Unendlich
mehr noch als sein Griff schmerzte sie sein Blick. Entsetzen stand
darin – und Verzweiflung? Er schüttelte sie heftig. „Was
tust du hier?“
„Ich
... ich ...“ Sie blickte wieder zum feixenden Wirt. Kalte Wut
breitete sich in ihrem Magen aus. Ihr Wort stand gegen das seine; und
sie hatte schon einmal überzeugend gelogen.
„Lasst
mich los!“ Sie trat nach Alexandre. „Ihr tut mir weh!“
Vor ein paar Stunden erst hatte er ihr das Leben gerettet; was würde
er jetzt mit ihr machen? Sie deutete mit dem Kopf zur Tür. „Ich
wollte ...“
„Was?“
„Den
Brief für Ihren Bruder abholen; was sonst!“
Die
hämische Stimme des Wirts klärte endgültig ihr Hirn.
Als habe sie ihren Widerstand aufgegeben, beendete sie den Versuch,
sich aus Alexandres Griff zu befreien.
„Meine
Tante ...“ Sie hob den Kopf und sprach zur Decke. „Sie
will ...“
Wieder
schüttelte er sie ungeduldig.
„Sie
hat nichts mehr zu trinken.“
Alexandre
ließ sie los und trat verblüfft einen halben Schritt
zurück. „Was?“
„Das
Gör lügt. Es hat keine Tante.” Der Wirt kam hinter
dem Schanktisch hervor. „Hier, diesen Brief soll ich Ihr für
Ihren Bruder geben.“
Mirella
sah nicht hin. Gewiss war niemand so dumm gewesen, einen Namen darauf
zu schreiben. Sie antwortete dem Wirt auf Italienisch. „Ich
weiß von keinem Brief!“ Sie ließ ihre Stimme nur
ein winziges Bisschen empört klingen; eben so viel, dass es
nicht kokett klang, wenn sie die verfolgte Unschuld gab. „Was
will Er überhaupt von mir?“
Auch
Alexandre wechselte die Sprache. „Der Wirt kennt Ihren Namen.“
Er hatte sich anscheinend wieder im Griff. Seine Stimme war eisig;
sein Blick wollte sie morden.
„Natürlich.“
Jetzt hatte sie einen richtig empörten Blick für den Wirt.
„Es ist nicht das erste Mal, dass er mich sieht.“
„Sieht
Er, sie leugnet es nicht.“
Mirella
gestattete sich Verwirrung. „Ich verstehe nicht ... Es ist mir
peinlich, Monsieur le Marquis , dass Er ...“ Wieder
deutete sie zur Tür. „Aber meine Tante schläft nicht
mehr gut ohne ihren Rotwein.“ Verschämt senkte sie den
Blick auf Alexandres Füße. Das Leder war abgeschabt an der
Innenseite seiner Stiefel; so ging de Guise
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