Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

hier ist nur ein Acid-Flashback. Bleib ganz ruhig. Das bildest du dir alles nur ein.
    Ich war runter auf fünfunddreißig oder dreißig, als ich an dem Mann mit dem Regenmantel vorbeirauschte und einem Schaf im Todeskampf über den Kopf fuhr, dass sein Hirn spritzte. Dadurch verlor ich an Tempo, und dann hob der Wagen noch mal ab, bevor er bei der Landung gegen das rauchende und umgestürzte Wrack dessen krachte, was aussah wie eine weiße Cadillac-Limousine,
in der noch immer Leute saßen. Es war ein Albtraum. Irgend so ein Dummkopf war mit hoher Geschwindigkeit in eine Schafherde gerast, hatte sich mehrmals überschlagen und war dann in der Wüste gelandet.
     
     
    Später konnten wir darüber lachen, aber wir brauchten eine ganze Weile, um uns zu sammeln. Doch was war denn schon passiert? Es hatte nur einen Unfall gegeben. Der Richter hatte ein paar frei umherstreifende Tiere ermordet.
    Und? Nur ein rassistischer Irrer würde seine Schafe zu dieser nächtlichen Stunde in einem Gewitter über den Highway treiben. »Scheiß auf diese Leute!«, blaffte der Richter, als ich mich auf den Weg nach Elko machte. Ihn und seine beiden Begleiterinnen hatte ich sicher in meinem Wagen untergebracht, der zwar erheblichen kosmetischen Schaden erlitten hatte, aber nicht ernsthaft beschädigt war. »Die werden mit dieser Verletzung ihrer Aufsichtspflicht niemals davonkommen!«, sagte er. »Die verspeisen wir lebend vor Gericht. Mein Wort darauf. Schon bald werden wir beide gemeinschaftliche Besitzer einer großen Schaffarm in Nevada sein.«
    Wunderbar, dachte ich. Aber inzwischen verließen wir einen Tatort mit einem höchst verdächtigen Autowrack, das auf jeden Fall am Morgen entdeckt werden würde, und die gesamte Vorderfront meines Wagens war verklebt von Wolle und Schafsblut. Auf gar keinen Fall konnte ich ihn auf einer Straße in Elko parken, wo ich einen Tag (vielleicht aber auch zwei oder drei Tage) hatte bleiben wollen, um ein paar alte Freunde zu besuchen, die im legendären Commercial Hotel an einer Art Messe für Sexfilmverleiher teilnahmen …
    Aber egal, dachte ich. Die Lage hat sich verändert. Ich war plötzlich Opfer einer Tragödie – verletzt und auf der Flucht, irgendwo weit draußen im Land der Schafe –, tausend Meilen von zu Hause und in einem Auto mit drei blutbespritzten Anhaltern,
die unzweifelhaft kriminell waren und einander wütend beschimpften, während wir durch den Monsun rauschten, der uns jede Sicht raubte.
    Jesus, dachte ich: Wer sind diese Leute nur?
    Ja, wer? Sie schienen mich gar nicht zu beachten. Die beiden Frauen, die sich auf dem Rücksitz in der Wolle hatten, waren Huren. Kein Zweifel. Ich hatte sie im Scheinwerferlicht gesehen, als sie sich aus dem Wrack des Cadillacs zu befreien versuchten, der so ungefähr sechzig Schafe auf dem Gewissen hatte. Sie waren kopflos vor Angst und Verwirrung und krabbelten hektisch über die Schafe … Die eine war schwarz, hoch gewachsen und trug ein weißes Minikleid … und jetzt schrie sie die andere an, eine junge, blonde und hellhäutige Frau. Beide waren betrunken. Es hörte sich an, als rauften sie auf dem Rücksitz. »Nimm deine Hände weg von mir, Schlampe !« Dann rief eine Stimme: »Helfen Sie mir, Richter! Hilfe! Sie bringt mich um !«
    Was?, dachte ich. Richter? Dann wiederholte sie es, und mich durchlief ein eisiger Schauer … Richter ? Nein. Das wäre mehr als grenzwertig. Inakzeptabel.
    Er langte über den Sitz und knallte ihre Köpfe gegeneinander. »Schnauze jetzt!«, schrie er sie an. »Wo bleiben denn eure verschissenen Manieren ?«
    Dann lehnte er sich nochmals über den Sitz. Er packte eine von ihnen an den Haaren. »Verflucht«, brüllte er. »Bringt diesen Mann nicht in Verlegenheit. Er hat uns das Leben gerettet. Wir schulden ihm Respekt – und nicht dies gottverdammte Hurengekeife.«
    Wieder durchfuhr mich ein Schauer, aber ich hielt das Lenkrad fest, blickte starr geradeaus und kümmerte mich nicht um die gruselige Freakshow, die sich urplötzlich in meinem Wagen abspielte. Ich steckte mir eine Zigarette an, aber gelassen war ich nicht. Schluchzer und das Reißen von Stoff waren vom Rücksitz her zu hören. Der Mann, den sie Richter nannten, hatte sich abgeregt, ruhte jetzt ganz entspannt auf dem Vordersitz, atmete tief ein und langsam und kontrolliert aus … die Stille war nervtötend:
Hastig drehte ich die Musik auf. Es waren wieder Los Lobos  – irgendwas von wegen »One Time One Night in America«, ein