Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Flugzeug, während ich zur Hintertür hinausschlüpfte. Es war inzwischen taghell. Ich hatte fast kein Benzin mehr im Tank, aber das war nicht meine größte Sorge. In ein paar Minuten wird die Polizei hier auftauchen, dachte ich. Ich bin verloren. Als ich auf den Highway fuhr, sah ich dann aber ein Schild mit der Aufschrift WIR LACKIEREN AUCH NACHTS.
Als ich auf den Parkplatz fuhr, flog das Flugzeug von Jackpot Express über mich hinweg. So long, Richter, dachte ich. Sie sind ein skrupelloser Gauner und ein Krieger und ein großartiger Kopilot, aber Sie wissen auch genau, wie Sie Ihren Willen durchsetzen können. Sie werden es noch weit bringen in diesem Leben.
EPILOG: WEIHNACHTSTRÄUME UND GRAUSAME ERINNERUNGEN … EINE NATION VON GEFÄNGNISWÄRTERN … ZURÜCKTRETEN! DER RICHTER WIRD SIE JETZT EMPFANGEN
Das wär’s so weit, Jann. Diese Geschichte ist zu deprimierend, um sich in der eh schon so trübsinnigen Vorweihnachtszeit professionell mit ihr auseinander zu setzen … Ich kann mich nur noch schwach entsinnen, wie es dort oben in New York zugeht, aber manchmal überkommt mich die Erinnerung, was für ein Gefühl es war, in perfekter Stille seine schnellen Kreise um die Eisbahn vor dem NBC-Gebäude zu ziehen, während sich Junkies und FBI-Spitzel mit weißen Bärten und in verlotterten roten Overalls durch die Menge schoben und die Leute gnadenlos um Nickels und Dollars und Dimes angingen, an denen noch Rückstände von Crack klebten.
Ich weiß noch, wie wir an einem Weihnachtsmorgen in Manhattan ins Empire State Building rein sind, um mit dem Fahrstuhl
in die Vorstandsetage von irgendeiner berühmten Unterwäschefirma zu fahren, wo wir dann – oben im fünfundachtzigsten Stock oder so – eine dreihundert Kilo schwere rote Ledercouch im englischen Empirestil aus einem Eckfenster ins Freie gewuchtet haben …
Soweit ich mich erinnere, wurde sie sofort von einer Sturmbö erfasst und um die Ecke zur 34. Straße abgetrieben. Auf dem Weg nach unten gewann sie rasend an Geschwindigkeit und schlug schließlich durch die gestreifte Markise eines dieser koreanischen Lebensmittelmärkte, die von eingelegtem Chinakohl bis zu Weihnachtsbäumen einfach alles verkaufen. Der Aufprall zermatschte Wassermelonen, Apfelsinen und Tomaten und verteilte den Brei über den gesamten Gehsteig. Aus unserer Position bekamen wir die Landung im Obst kaum mit, aber ich weiß noch, was für ein Chaos auf der Straße herrschte, als wir aus dem Fahrstuhl stiegen … Man kam sich vor wie auf einem Schlachtfeld. Ein paar Schaulustige standen wie benommen im Schneesturm herum und tuschelten miteinander. Sie dachten, es habe eine unterirdische Explosion gegeben – vielleicht in der U-Bahn oder durch eine Gasleitung.
Als wir am Schauplatz auftauchten, kam gerade ein besonders schnelles Taxi auf einigen Wassermelonen ins Rutschen, krachte in einen Fifth-Avenue-Bus und ging in Flammen auf. Es folgte ein Riesengeschrei, und Polizeisirenen jaulten. Zwei Cops legten sich mit einer Bande von Plünderern an, die wie Gespenster aus dem Schneegestöber aufgetaucht waren und mit ganzen Schinken, Truthähnen und großen Dosen Kaviar davonrennen wollten … Niemand schien sich zu wundern. Sei’s drum. So was passiert nun mal. Willkommen im Big Apple. Aber immer schön aufpassen. Und niemals im offenen Wagen fahren oder zu dicht an einem hohen Gebäude entlanglaufen, wenn es schneit … Überall auf der Straße lagen Weihnachtsbäume, und manche Leute hielten an, luden einen Baum in ihr Auto und rasten davon. Wir stahlen ebenfalls einen und brachten ihn zu Missys Wohnung in der Bowery,
weil wir wussten, dass sie keinen hatte. Aber sie war nicht zu Hause, und daher stellten wir den Baum draußen auf die Feuertreppe, übergossen ihn mit Kerosin und steckten ihn in Brand.
Das war für mich Xmas in New York, Jann. Es war ausnahmslos eine Zeit der Beklommenheit und des Scheiterns und des inneren Aufruhrs. Niemand schien je zu Weihnachten Geld zu haben. Sogar reiche Menschen waren pleite und quasselten hysterisch am Telefon vom Weihnachtsmann, von Selbstmord oder davon, sich einer Religionsgemeinschaft ohne Regeln anzuschließen … Der Schnee war die ersten zwanzig oder dreißig Minuten nach Tagesanbruch noch sauber, aber schon kurz darauf hatten ihn betrunkene Taxifahrer und Müllwagen und scheißende Hunde zu ekligem Matsch verquirlt.
Jeder, der zu Weihnachten auf glücklich machte, war ein Lügner – sogar diejenigen, die fünfhundert
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