Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
spät für was? Haben wir es hier mit lauter Verrückten zu tun? Weswegen hätte ich denn wohl Jack umbringen wollen? Es war der totale Wahnsinn.
Konnte man wohl sagen – und in dem Moment traf es mich wie ein Schlag. Natürlich. Das bin ich , den sie da draußen im Wald mit Hunden suchen. Ich bin der ausgerastete Mordbube mit dem buschigen Haar, der letzte Nacht versucht hat, in Jacks Haus einzudringen und die gesamte Familie umzubringen. Scheiße! Es war doch nur ein Scherz.
Ein Scherz. Ho ho. Niemand sonst lachte mit. Man hatte bereits den Blindgänger einer Raketenbombe in den Bäumen oberhalb des Hauses entdeckt … Sämtliche Cops im County standen unter Strom und arbeiteten doppelte Überstunden, um dies Scheusal zu erwischen, bevor es die gesamte Nicholson-Familie abschlachten und Aspens eh schon angeschlagenen Ruf in alle Ewigkeit ruinieren konnte. Widerwärtige Skandale um pervertierte Millionäre, verkommene Kinder und abartige Hollywoodhuren, die nur nach Publicity schielen, sind hier derart gang und gäbe, dass sie bereits als politisch akzeptabel und gar trendig gelten … In der Tat, und genau deswegen hat ja in den letzten Jahren der beschissene Ansturm durch »Zweitwohnsitz-Zuhälter« dies Tal wie eine Invasion von Filzläusen heimgesucht … Und wir reden hier nicht von harmlosen Läusen, sondern von echten Sackratten.
Ach, ich schweife ab. Unser Thema war eigentlich nur der vergebliche Versuch, meinem alten Freund Jack und seinen Kindern in einer eisigen Frostnacht im Winter 1997 ein paar Geburtstagsgeschenke zu überbringen.
Das wahre Problem jener Nacht erwies sich als etwas, das mir zu jenem Zeitpunkt gar nicht klar wurde – wenn auch vielleicht nur deswegen nicht, weil es so verquer und unwahrscheinlich war, dass es sogar Wörter wie unglaublich , bizarr und unmöglich in einem neuen Licht erscheinen ließ …
Aber so geschah es nun mal – und bei dieser Gelegenheit
möchte ich darauf hinweisen, dass es viertausendundeine Tragödie wie diese waren, die in mir schon vor so vielen, vielen Jahren den Entschluss reifen ließen, mich von einem verbrecherischen Lebensstil loszusagen – und mich dem Leben als Schreiber zuzuwenden.
Jack war bereits in aller Öffentlichkeit von einem als mordgierig eingestuften Stalker bedroht worden, der ihm in Los Angeles mehrere Male nach dem Leben getrachtet hatte, und war deshalb in die Rockies gezogen, um sicher vor den Gefahren Hollywoods, völlig anonym und zurückgezogen zusammen mit Raymond und Lorraine eine gewisse Zeit zu verbringen. Er war, mit einem Wort, auf der Flucht – nichts als ein hypernervöser Vater, dessen Kinder angereist waren, um ihn in seinem total abgelegenen Domizil in den Rockies zu besuchen.
Wer hätte zum Beispiel wissen sollen, dass in jener Nacht sämtliche Telefonleitungen in Jacks düsterem Tal durch den Schneesturm unterbrochen waren? … »Yeah, genau zu der Zeit haben die Telefone den Geist aufgegeben«, sagte mir der Sheriff. »Man hat versucht, 911 anzurufen, aber anscheinend waren die Leitungen unterbrochen. Da ist er durchgedreht und hat sich mit der Familie im Untergeschoss hinter einem Haufen antiker Möbel verbarrikadiert, und das ohne Waffe, abgesehen von einem ganz normalen Schürhaken.« Er gluckste vor Lachen. »Der Blödmann hatte noch nicht mal eine Waffe im Haus. Gott sei Dank, äh? Sonst hätte er noch aus Versehen die Kinder umgebracht.«
Durchaus richtig. In der Regel ist es besser, keine geladenen Waffen im Haus herumliegen zu lassen, wenn Kinder zu Besuch sind. Sogar dann, wenn draußen ein geistesgestörter Stalker mit einer Kettensäge umherschleicht. Es empfiehlt sich vielmehr,
gute Schlösser und Alarmanlagen mit lautem Warnton an den Türen zu installieren und ständig telefonisch mit dem Polizeirevier verbunden zu sein … Aber all das konnte Jack und seine Familie in jener Nacht weder helfen noch trösten. Der Freak da draußen hegte einen Groll und hatte einen weiten Weg zurückgelegt, um eine Rechnung zu begleichen. Schauplatz und Atmosphäre waren wie bestellt (genau wie in Shining ).
Die Telefone hörten nicht auf zu klingeln, und die Nachrichten wurden immer schlimmer. Manche Leute appellierten an mich, endlich zu gestehen, und andere drängten mich, so schnell wie nur irgend möglich mit einer Polizeiflinte zu Jacks Haus zu eilen und mich dem Suchtrupp anzuschließen. Sämtliche Anrufer klangen ehrlich besorgt und ängstlich. Sogar Heidi verhielt sich
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