Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

komisch. Sie wusste, dass ich in der vergangenen Nacht zu Jack gefahren war, und vermutlich nahm sie an, ich hätte ihn aus irgendwelchen Gründen umzubringen versucht. Warum nicht? Vielleicht hatte ich ja einen Anfall gehabt und war ausgerastet. Wer weiß schon, wozu ein Drogensüchtiger in der Lage ist? Besonders, wenn Kinder in der Nähe sind. Und es war durchaus denkbar, dass ich mich nicht einmal mehr erinnern konnte.
    Das Telefon klingelte wieder, und diesmal war es Jack. Erst jetzt konnte er wieder telefonieren. Oh Gott , dachte ich. Was soll ich nur sagen? Komm, reiß dich zusammen. Omerta .
    »Na, Doc, wie geht’s denn so?«, sagte er mit ruhiger Stimme. Es muss ein Sonnabend gewesen sein, denn er fragte so etwas wie »Wer spielt denn heute Nachmittag?«
    »Zum Henker mit diesen beschissenen Footballspielen«, sagte ich. »Was ist denn das für ein Albtraum mit der Polizei da draußen bei deinem Haus? Ich hör ja die irrsten Geschichten.«
    Schweigen und eine Pause. Ich hörte, dass er durchatmete. Dann sagte er: »Nun ja, lass mich dich das eine oder andere fragen.« Er hielt inne. »Du weißt schon – dies Wapitiherz …«
    Das war es gewesen, was ihn echt fertig gemacht hatte, das viele Blut. Er sagte: »Als ich es mir angesehen habe – wir suchten
nach Hinweisen« – ich nahm an, er sprach von den Cops – »als ich es mir genauer angesehen habe, fiel mir auf, dass sich in der Mitte des Herzens, also da, wo es noch nicht ganz aufgetaut war, kleine Eiszapfen befanden. Ich hab natürlich nichts zu den Cops gesagt, aber mir war so, als hättest du ein tiefgefrorenes Wapitiherz in deiner Kühltruhe gehabt. Hast du mir das nicht mal gezeigt, zusammen mit einem Vogel und einem Frettchen? Hast du nicht letzten Winter mit einem tiefgefrorenen Wapitiherz nach mir geworfen, oder sollte ich mich täuschen?«
    Dieses Arschloch , dachte ich. Dieser miese kleine Mistkerl. Das hat er sich ja clever zusammengereimt – nur ein winziger gefrorener Splitter innen drin. Der ganze Rest war zu Matsch und Blut aufgetaut – eigentlich schmeckt es sogar ganz gut, so ein Wapitiherz … dies würde aber so bald auf keinen Tisch kommen; es sah eher aus wie ein menschlicher Muskelmagen. Größer als ein menschliches Herz. »Ja, könnte schon sein …«, sagte ich.
    »Dachte ich’s mir doch. Ich ahnte doch, dass du dahintersteckst, als ich das Eis sah«, sagte er. »Ich hab ihnen bis jetzt noch nichts gesagt, verstehst du, die sind immer noch da draußen, ein Spezialkommando. Suchen nach Beweisen, nach Leuten, die irgendwo im Wald schlafen … Verdammt noch mal, Doc, bin ich froh, dass du’s mir gesagt hast. Wir haben hier draußen eine höllische Nacht gehabt. Es war der reine Horror.«
    Der Scherz war vorbei. Offiziell wurde ich nie beschuldigt. Jack sagte dem Sheriff, es sei falscher Alarm gewesen. »Ich kenne den Mann«, sagte er. »Der ist ganz bestimmt nicht der Killer.«

Epilog
    Das ist es, was ich zur Sicherheit in dieser Stadt zu sagen habe. Man kann sich eine Menge Personenschutz kaufen, wenn man stinkreich ist, und ganz offensichtlich fühlen sich diese Leute dann besser – ständig umgeben von Hunderten geldgieriger freischaffender Cops mit der Lizenz zum Töten – jederzeit, an jedem Ort und aus jedem gottgesegneten Anlass. Flatterhafte Typen sind das, bestenfalls, aber stets gefährlich.
    Wir haben in diesem Tal mehr schwarze Wohnwagen von Sicherheitsdiensten als an sonst einem Ort auf der Welt, der einem spontan in den Sinn käme, mit Ausnahme von Washington, D. C., und der Vatikanstadt. Es gibt reichlich abzugreifendes Bares an diesen Orten, eine Menge mehr oder weniger schwarzes Geld, das von Hand zu Hand geht – es stammt von Regierungen, die auf der anderen Seite des Erdballs gestürzt wurden, von Königreichen, die allmählich zugrunde gerichtet werden, und ganzen Familien von US-Präsidenten und Filmstars wie Julia Roberts und Harry Dean Stanton, die gekauft und wieder verkauft und verhätschelt werden wie Konkubinen, und zwar von kriminellem Abschaum wie Neil Bush, dem rechtskräftig verurteilten Betrüger und Bruder unseres amtierenden Präsidenten George W. … Ganz zu schweigen vom gegenwärtigen US-Heeresminister und der goldfingrigen Rotte flüchtiger Rechtsbrecher aus der Führungsetage von ENRON, einschließlich des monströsen Vorsitzenden Kenneth Lay … All diese Leute streifen frei und unbehelligt in Aspen umher, abgeschirmt von Freizeitcops und Hollywooddeppen und tumben