Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
vierzig Sekunden lang so grell erleuchten würde, dass jeder, der das Glück hatte, noch wach zu sein, annehmen musste, es handele sich um den ersten gleißenden Detonationsblitz einer mittelschweren Atombombenexplosion, die vielleicht das Ende der Welt ankündigte. Es war eine Art tragbarer Mörser mit einem Plastikring an einer Abzugsleine auf der einen Seite und einem schwarzen Abschussrohr auf der anderen. Ich hatte das Ding ein paar Wochen zuvor bei einem Ausverkauf im West Marine Hardware in Sausalito erstanden, für hundertfünfzehn Dollar, runtergesetzt von zweihundertzehn. Dem konnte ich nicht widerstehen, und ich fand sogar, dass ich ein Schnäppchen gemacht hatte, denn ich rechnete mit einem spektakulären Schauspiel und konnte es kaum erwarten, meinen Leuchtfallschirm abzuschießen. Die Gebrauchsanleitung drückte sich nicht sonderlich klar aus und war größtenteils
fremdsprachlich abgefasst, aber die Diagramme machten deutlich, dass der BENUTZER tunlichst geeigneten Augenschutz anlegen müsse, das Projektil vertikal und so weit wie möglich vom Körper entfernt halten solle, um dann den ABSCHUSSRING SENKRECHT NACH UNTEN ZU REISSEN und DAS PROJEKTIL DABEI KEINESFALLS ZU KIPPEN.
(HST Archiv)
Okay, dachte ich, das krieg ich hin. Mit Leuchtraketen kenne ich mich aus. Ich habe schon diese riesigen grauen Militärdinger abgefeuert, bei denen man das eine Ende abzieht und es auf das andere aufsteckt und dann mit der Handfläche gegen die Unterseite schlägt und spürt, dass einem durch eine Explosion wie beim Abfeuern einer Hundertfünf-Millimeter-Haubitze beide Arme taub werden bis hinauf unter die Schädeldecke. Also machte ich mir keine Sorgen wegen dieser billigen roten Ladung aus Sausalito. Hat man einmal das Gespür dafür entwickelt, wie mit Nitrozündern umzugehen ist, verliert man es niemals wieder.
Über diese Dinge dachte ich nach, als ich die lange Straße hinaufkurvte, die sich zu Jacks Haus schlängelt. Zehn Meilen musste ich in tiefster Dunkelheit zurücklegen, und als ich ankam, fühlte ich mich ein wenig kribbelig. Also fuhr ich an den Straßenrand und parkte auf einem Felsvorsprung, von dem aus man das Heim der Nicholsons überblicken konnte.
Keine anderen Autos befuhren die Straße. Ich lud den riesigen Verstärker aus und brachte ihn auf dem Dach des Jeeps in sichere Stellung. Der Lautsprecher war über das Tal gerichtet, und ich legte die Leuchtpatrone fein säuberlich daneben, bevor ich mich gemütlich an die Kühlerhaube lehnte, um erst mal eine Zigarette zu rauchen. Weit unter mir konnte ich durch die Äste der Kiefern die seltsam wirkenden Lichter von Jacks Haus sehen. Die Nacht war äußerst still, und die LED-Anzeige in meinem Jeep verriet mir, dass die Temperatur minus dreizehn Grad betrug und es nicht später als zwei Uhr dreißig oder vielleicht zwei Uhr fünfundvierzig in der Frühe war. Ich weiß noch, dass ich eine Gospelmelodie im Radio hörte, bevor ich den Lautsprecher an den Verstärker anschloss und das Todesquieken der Schweine mit ungefähr hundertneunzehn Dezibel vom Band in die Nacht schickte.
Der Lärm war unerträglich – anfangs. Ich musste mir die Ohren zuhalten und mich hinter dem Jeep verkriechen, um ihm zu entkommen. Ich wollte ihn abstellen, aber gerade in dem Augenblick sah ich, dass sich Scheinwerfer die Straße hinauftasteten, und musste mich verstecken … Der Wagen wurde keinen Deut langsamer, als er an mir vorbeifuhr, und das trotz der grauenvollen Quiektöne, die sich anhörten, als würde eine ganze Schweineherde gemeuchelt.
Irgendwie war mein erster Gedanke, dass im Auto nicht Bill Clinton gesessen haben konnte, denn der hätte sicher »einen Affenzahn draufgehabt«. Ho ho, guter Witz, äh? Es ist schon komisch, dass Witze über Bill Clinton anscheinend immer in ungewöhnlichen Augenblicken wie diesen auftauchen – wenn du etwas
tust, das dir absolut richtig und normal erscheint, und du dich in allerbester Laune an deine Aufgabe machst, die dann aber aus Gründen, die außerhalb deiner Kontrolle liegen, misslingt und zum Grundstock kommender Tragödien wird.
Das braucht niemand – aber manche Menschen scheinen es so zu wollen, und in jener verrückten Winternacht in den Rockies war ich einer von ihnen. Keine Macht der Vernunft oder Natur hätte mich überzeugen können, dass die bescheidene, freundliche und mit so viel Feingefühl bereits in Gang gesetzte Ereigniskette von der Familie dort unten anders als erfreut, überrascht und
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