Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
JOGGEN und lasst alles hinter euch.
Ich wette, das hat Tonya Harding gesagt. Die ist wahrlich ’ne freche kleine Nudel … Es wird gemunkelt, das kolossal obszöne O’Farrell Theatre in San Francisco wolle sie im Sommer zur Hauptakteurin in seinen neuen Erotic Boxing -Schaukämpfen unter freiem Himmel machen. Jim Mitchell hat eben ein Gespür für Talente. Ich werde direkt am Ring sitzen, wenn Tonya im Juli den Eröffnungskampf gegen Charlotte Rampling bestreitet. Rufe bitte einer Jeff Armstrong an wegen Pressekarten. Mahalo.
Willkommen im 4. Reich
Dies könnte die Generation sein, die sich dem Ende der Welt stellen muss.
US-Präsident Ronald Reagan, Weihnachten 1985
SIMON
Redakteur
London Independent
Lieber Simon,
Millionen Menschen in der ganzen Welt achten in diesen Tagen auf die Schlagzeilen, und die meisten von ihnen geraten in Angst. Gute Nachrichten sind in diesem barbarischen Jahr unseres Herrn 2002 undenkbar. Es ist die Zeit gekommen, dass die ganz große Scheiße vom Himmel regnet, wie Nostradamus im Jahr 1444 n. Chr. vorausgesagt hat, und wer glaubt, der Mann habe Witze gemacht, der sollte sich zielbewusst und siegessicher auf den Weg machen – wie ein amerikanisches Parademädel mit der Birne voller Mandrax – und versuchen, in diesem Land einen Job zu bekommen … Genau, mein süßes Mäuschen, komm doch einfach näher und nimm, was sich dir bietet. Ho ho ho.
Es gibt keine Jobs in Amerika, Simon; der Stellenmarkt ist 2001 n. Chr. zusammengebrochen, ebenso wie der Aktienmarkt und sämtliche Pensionsfonds von ENRON. George W. Bush war gerade drei Tage im Weißen Haus, da sind sämtliche Märkte kollabiert … Ja, so schnell ging es. Krachbumm, presto , willkommen bei den Bomben und der Armut. Ihr werdet jetzt allmählich büßen für die Sünden eurer Väter und Vorväter, auch wenn sie unschuldig waren.
Wir stecken hier drüben böse in der Klemme, Simon. Mit den einst so stolzen USA geht es rapide abwärts. Wir sind abgebrannt bis auf unsere letzte(n) Kanonenkugel(n). In Deckung!
Die Schweinehunde im Pentagon sind wild darauf, es mal wieder irgendwo knallen zu lassen, und in den Branchen Aufrüstung, Überwachung und New-Age-Sicherheitsdienst wird das Stellenangebot immer größer.
Teufel auch, hatte ich etwa vergessen, diese Jobs zu erwähnen? Wie dumm von mir. Rache und Gewalt haben in Amerika immer Hochkonjunktur, und es gab Tage, an denen ich kräftig mitgemischt habe. Worauf du Gift nehmen kannst! In meiner wilden und gefährlichen Jugend wollte ich ein schneidiger Düsenjägerpilot werden, ein grinsender Unmensch, der über den Himmel zischt, in Siegermanier seine Kunstflugrollen dreht und über dem Strand in Laguna gnadenlos die Schallmauer mehrmals hintereinander durchbricht. Verdammte Hölle, Simon, damals konnte ich übers Wasser gehen. Und hatte die Lizenz zum Töten.
Ich war mein Leben lang nachrichtensüchtig, und ich kann mit dieser Sucht recht gut leben. Sie war gut zu mir, wenn auch nicht notwendigerweise für mich oder den Grad meines allgemeinen Wohlbefindens. Meine Nachrichtensucht hat mich auf so manche Abwege geführt und mehrmals auch ins Tal des Todes – nicht immer aus rein professionellen Gründen, leider Gottes. Aber so was liegt nun mal in der Natur der Sache, und eins sollten Sie verstehen: In meinem Gewerbe ist, wie in vielen anderen auch, die Nachrichtensucht der Schlüssel zum Überleben.
Was man zudem braucht, ist ein unerschütterlicher Sinn für Humor, den man in der Schule nur sehr schwer erlernen kann und der noch schwieriger zu lehren ist. (Es handelt sich zudem um eine Wortverbindung, die immer wieder auf Papier zu bringen allmählich lästig wird – also werden wir von jetzt an das urtümliche und ehrenwerte Wort Wa anstelle von »Sinn für Humor« verwenden. Auf diese Weise finden wir einen geschmeidigeren Wortrhythmus und kommen flotter voran.)
Okay. Wir sprachen von den Nachrichten – Informationen oder Auskünfte, zusammengetragen aus der Ferne, usw. usw.
Heute sind die Nachrichten schlecht , in Amerika und für Amerika.
Aus keiner von ihnen ist Gutes oder Hoffnungsvolles zu entnehmen – außer für Nazis, Kriegstreiber und reiche Gierhälse –, und seit dem schicksalhaften Angriff auf die World Trade Towers in New York wird alles in logarithmischer Progression schlimmer und schlimmer. Dies Ereignis wird für alle Zeiten schmerzhaft wie eine schwärende Wunde einen Tiefpunkt in der von Gewalt geprägten Geschichte
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