Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
unserer Wähler war zu dünn, und der Vorsprung, den sie uns brachte, reichte auch nicht annähernd aus, den Erdrutsch aus dem vorstädtischen Agnewville und den Trailerparks im County einzudämmen. Die Stimmen der Gegenreaktion kamen rein, und der Tag war noch nicht halb vorüber, da wurde unseren Wahlbeobachtern bereits klar, dass wir mit Pauken und Trompeten untergehen würden. Zwar weigerten sie sich, es zu bestätigen, aber ich glaube, wir wussten alle Bescheid …
Also legten wir so ungefähr bei Einbruch der Dunkelheit damit los, uns Meskalin reinzuhauen, Tequila, Haschisch, Bier und alles, was wir sonst noch in die Finger kriegten … und danach ging es nur noch darum, die nationale Presse zu verarschen und darauf zu warten, dass das Fallbeil niedersauste. Unser Hauptquartier im eleganten Hotel Jerome war das reine Irrenhaus. Jeder Anwesende schien ein langes schwarzes Mikrofon von der Größe eines Baseballschlägers zu schwenken, und alle ohne Mikrofon hatten Kameras dabei – Nikons, Eclairs, Kodaks, Polaroids, und dann war da auch noch ein sehr gut ausgerüstetes Videoteam vom California Institute of Arts.
Der Fußboden glich einem Labyrinth aus Kabeln, an der Decke hatte man Scheinwerfer angebracht … der Life -Fotograf wurde von zwei CBS-Rabauken aus Los Angeles rüde aus dem Weg gerempelt; der Chefkameramann des Woodstock -Films ging auf den Direktor der britischen TV-Crew los … es wurde unablässig und wüst um die besten Kamerapositionen um den Schreibtisch mit den Telefonen gerangelt und auch um die schicksalhafte Wandtafel, auf der Alison und Vicky Colvard Zahlenkolonnen addierten. Bill Kennedy, ein Journalist von Harper ’ s , hielt vor dem Telefontisch seine Stellung mithilfe einer instinktiv eingesetzten
fiesen Ellbogentaktik, an die er sich wohl noch aus den Zeiten seiner Berichterstattung über Einsatzkommandos in Albany und San Juan erinnerte.
Journalisten von Life, LOOK, Scalan ’ s, Ski, The Village Voice, Fusion, Rat – sogar ein holländischer Korrespondent von Suck – streiften unaufhörlich durch die Menge und belästigten die Anwesenden. Die Telefone kündigten mit schrillem Läuten Ferngespräche von AP, UPI, den Fernsehnetzen und Dutzenden neugieriger Fremder aus Virginia, Michigan und Oregon an, die sich nach den Wahlergebnissen erkundigten. Eine der besten Kurzbeschreibungen des Chaos lieferte später Steve Levine, ein junger Kolumnist von The Denver Post , der einen halben Tag lang einer unserer Wahlbeobachter gewesen war:
»Da gab es Wahnwitz und Trübsal und Alkohol und Dope und Tränen und Zorn und starr lächelnde Gipsgesichter«, schrieb er. »Salon B im alten Jerome war von Wand zu verblichener Blumentapetenwand randvoll mit abgekämpften Parteigängern, sowohl Vollfreaks wie Halbfreaks, von Presseleuten aus London und L. A., und von Gönnern.Viele waren sternhagelvoll und optimistisch, aber manche wussten es bereits besser …«
In der Tat … und der düstere, verqualmte Zufluchtsort für diejenigen, die es wirklich besser wussten, war Raum Nummer eins, durch den überfüllten Korridor ungefähr fünfzig Meter vom Wahnsinnsgewimmel in Salon B entfernt. Das Zimmer von Oscar Acosta. Er bewohnte es seit zwei Wochen, musste eine Krisensituation nach der anderen bewältigen und fand kaum Schlaf in seiner komplexen Dreizackrolle als alter Freund, Leibwächter und juristischer Nothelfer in dem, was The New York Times »die bizarrste (politische) Wahlkampagne im Amerika unserer Tage« nannte. Aber der Mann von der Times kannte nicht den aktuellen Stand, denn er war Anfang Oktober in die Stadt gekommen, lange bevor die Kampagne so schrill und böse geworden war, dass The New York Times niemals die wahre Geschichte hätte erzählen können.
HST und Oscar Acosta am Vorabend der Wahl in Aspen, November 1970 (Bob Krueger)
Als Acosta eintraf, sah es in der politischen Szene von Aspen aus wie in einer im Drogendelirium zusammenfantasierten Parodie eines Mafia-Bandenkriegs aus Der Pate . Und eine Woche vor der Wahl stiegen wir dann tatsächlich in den Ring. Oscar, ein prominenter Chicano-Bürgerrechtsanwalt aus Los Angeles, machte in Aspen Station, nachdem er in Denver seinen Mandanten Corky Gonzales besucht hatte – die Antwort der Chicanos auf Huey Newton oder vielleicht auch H. Rap Brown in alten Zeiten. Mitte November sollte Corky in L.A. der Prozess gemacht werden, und zwar unter der zweifelhaften Beschuldigung des »Tragens einer tödlichen Waffe«
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