Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
bleibt, für hübsch arrangierte Überredungsversuche in Form politischer Entlarvungen. Die sechziger Jahre boten viele Beispiele dafür, dass gute und mächtige Männer ihre Meinung zu gewichtigen
Fragen änderten: John Kennedy zu Kuba und der Schweinebucht, Martin Luther King junior zu Vietnam, Gene McCarthy zur »Arbeit hinter den Kulissen und innerhalb des Senatsclubs«, Robert F. Kennedy zu Marihuana und langen Haaren und dem, was schließlich zur Freak Power wurde, Teddy Kennedy zur Berufung von Francis X. Morrisey zum Bundesrichter und Senator Sam Ervin zum Lauschangriff und zur Vorbeugehaft.
Jedenfalls deutete der allgemeine politische Trend der sechziger Jahre darauf hin, dass die Guten langsam, aber sicher (und manchmal auch auf ungeschickte Weise) über die Bösen siegen würden … und das allerbeste Beispiel dafür war Johnsons unfassbare Abdankung am 1. April 1968. Daher war niemand darauf vorbereitet, was sich im Sommer abzuspielen begann: zuerst Chicago, wo Johnson seine Convention aufführen ließ wie ein Remake des Reichtagsbrandes … und anschließend die Machtübernahme durch Agnew und Nixon und Mitchell, denen aggressive Feindseligkeit angeboren war und die sich all dem gegenüber als taub erwiesen, wovon wir seit zehn Jahren geredet hatten. Dementsprechend brauchten wir eine Weile, bis wir einsahen, dass es einfach keinen Zweck hatte, diesen Arschlöchern unsere Parolen zuzurufen. Sie waren taub und dumm geboren.
Das war die Lektion von Chicago – oder zumindest war es das, was ich selbst aus Chicago lernte, und zwei Jahre später, als ich für das Amt des Sheriffs kandidierte, leuchtete mir diese Lektion noch ebenso ein wie in dem Moment, als mir im Grant Park ein Gummiknüppel in den Bauch gerammt wurde, weil ich einem Bullen meinen Presseausweis vorwies. In Chicago musste ich erfahren, dass es die Polizei als ausführendes Organ der Regierung der Vereinigten Staaten tatsächlich fertig brachte, rachsüchtige Schläger in ihren Dienst zu nehmen, damit sie genau die Regeln brachen, die wir alle für die Richtschnur unseres Handelns hielten. Am Donnerstagabend im Amphitheater reichte es für mich nicht, im Besitz eines Pressepasses des Democratic National Committee zu sein; nein, Mietbullen jagten mich von
meinem Presseplatz, und als ich an der Tür bei den Prätorianern des Präsidenten protestierte, wurde ich an die Wand geklatscht und nach Waffen durchsucht. Und obwohl ich absolut im Recht war, wurde mir in dem Moment klar, dass ich wahrscheinlich auf direktem Weg ins Gefängnis geschafft worden wäre, wenn ich auf meiner berechtigten Beschwerde beharrt hätte.
Es hatte keinen Sinn, an irgendeine höhere Instanz zu appellieren, denn das waren ja gerade die Leute, von denen diese Schweine dafür bezahlt wurden, mich zu drangsalieren und zu verarschen. Es war LBJs Party und ich war ein unwillkommener Gast, kaum toleriert … und wenn ich den Mund nicht halten konnte, würde mir dieselbe Behandlung zuteil werden wie den armen Hunden draußen auf der Michigan Avenue oder der Wells Street oder im Lincoln Park … gegen die man mit Tränengas vorging und die von einer Bullenarmee niedergeknüppelt wurden, die mit Carte blanche vom Daley-Johnson-Kartell Amok lief – während sich Hubert Humphrey in seiner Hilton-Suite im fünfundzwanzigsten Stockwerk im Tränengasnebel die Augen ausweinte.
Nach den Tagen von Chicago war vielen Leuten ähnlich zumute. In meinem Fall war es eher die Erschütterung bei der plötzlichen Einsicht, dass ich Zeitzeuge war. Ich kam als Journalist nach Chicago – mein Kandidat war zwei Monate zuvor in Los Angeles ermordet worden –, aber ich verließ die Stadt in hysterischer Angst und durch das Erlebte überzeugt davon, dass wir allesamt in höchst üblen Schwierigkeiten steckten … ja, dass unser Land zum Untergang verurteilt war, wenn nicht irgendjemand irgendwo eine neue Machtstruktur schaffen konnte, um der kernfaulen Hochleistungsmaschinerie von Männern wie Daley und Johnson zu trotzen. Als ich auf dem Flughafen O’Ha-re in einem Jet der TWA saß, der mich nach Westen bringen sollte, und auf die Startfreigabe wartete, dämmerte mir, dass ich urplötzlich mitten in der Story steckte, die zu finden man mich hinausgeschickt hatte. Was als unbedarfter Traum eines Dilettanten
begonnen hatte, war mittlerweile zu einem sehr realen Thema geworden.
So fing also alles an, und während der ersten paar Wochen im Oktober war die Wahlkampagne für das Amt des
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