Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
nichts als ein lahmer Euphemismus für »nach deren Regeln spielen«. Hat man damit erst einmal begonnen und schließlich verloren – besonders in einer kleinen Stadt mit einem Wählerbestand von knapp unter zweitausendfünfhundert –, wird erwartet, dass man ganz selbstverständlich kuscht, wie es sich für einen Gentleman/Politiker gehört, und Prügel einsteckt, die nichts anderes sind als die unausweichliche Konsequenz der erfolglosen Herausforderung einer Machtstruktur, derenVertreter sich in den Schützengräben bestens verschanzt haben.
Wie die Gesetze der Physik scheinen die Gesetze der Politik in Amerika auf der Vorstellung zu basieren, dass jede Kraft eine Gegenkraft von exakt derselben Stärke hervorruft. Unsere bizarre
Kampagne zur Wählerregistrierung mobilisierte eine enorme Zahl lokaler »Freaks«, die sich zuvor noch nie hatten registrieren lassen, um ihre Stimme für irgendwas abgeben zu können – und viele von ihnen sagten hinterher, dass sie sich nie wieder in eine Wählerliste würden einschreiben lassen. Noch auf dem langen Weg zu den Wahlurnen wiesen sie unbeirrt darauf hin, dass sie »Politik hassten« und »ganz besonders alle Politiker«.
Aber die Wahlplattform der Freak Power – ebenso wie zweifellos die gesamte Kampagne – war so meilenweit entfernt und jenseits von dem, was man allgemein unter »Politik« versteht, dass wir letztlich am meisten Rückhalt bei den Leuten fanden, die sich mit Stolz als Nichtwähler bezeichneten. In einer Stadt, in der kein Kandidat für ein öffentliches Amt es je für notwendig erachtet hatte, mehr als zweihundertfünfzig Stimmen zu gewinnen, erntete 1970 ein glatzköpfiger und abstoßend radikaler Freak-Power-Kandidat für das Amt des Sheriffs eintausendfünfundsechzig Stimmen, aber verlor dennoch, weil ihm fast vierhundert Stimmen fehlten.
Die Freak-Power-Wahlen polarisierten Aspen derart, dass wir es am Ende schafften, so viele Negativ/Angst-Wähler aufzuscheuchen, dass es reichte, unseren schockierenden und beispiellosen Erfolg bei der Mobilisierung der »Freak«-Stimmen auszuhebeln. Wir versetzten die Hundesöhne derart in Panik, dass sie am Wahltag die Leute in Rollstühlen – und sogar auf Bahren – in die Wahllokale schafften, um gegen uns zu stimmen. Sie gruben Wähler aus, junge wie alte, die glaubten, »Ike« Eisenhower sei noch immer Präsident der USA. »Verdammt, es war das Verrückteste, was ich je erlebt habe«, sagte einer unserer Wahlbeobachter. »Ich war draußen in Wahlbezirk 1, wo wir dachten, alles im Griff zu haben, als sie uns plötzlich überrollten wie eine aufgeschreckte Schafherde. So viele Pick-up-Trucks hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Diese Pick-ups sehen wir noch immer. Und jeder, der deren Besitzer herausfordert, sollte sich auf den Tod gefasst machen.
Mit George McGovern in Washington, 1972 (Stuart Bratesman)
Sie haben es mir wieder und wieder zu verstehen gegeben, als ich mich zum Sheriff wählen lassen wollte: Selbst wenn ich die Wahl gewinnen sollte, würde ich den Tag meines Amtsbeginns nicht erleben. Und als ich verlor, trafen sie sofort sämtliche Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass nie wieder jemand wie ich für ein Amt kandidieren konnte.
Sonntagnacht im Fontainebleau
Sonntagnacht im Fontainebleau: heißer Wind in der Collins Avenue. Draußen vor dem Hotel, in Richtung Ozean, patrouillierten Gruppen bewaffneter Wachleute und »Polizeihunde« am Strand und im Pool-Bereich, um sicherzustellen, dass sich niemand einschlich und die Zehen ins Wasser tauchte. Nicht einmal
die Gäste durften das. Es war illegal, in Miami Beach des Nachts den Ozean zu nutzen. Der Strand selbst war zwar theoretisch Gemeinbesitz, aber die Architekten dieser Sauerei von »Hotelreihe« entlang der »Goldküste«, wie die einheimische Handelskammer sich auszudrücken pflegt, hatten es geschafft, sowohl den Strand als auch den Ozean total abzuriegeln, indem sie die Hotels so bauten, dass sie zwischen der Collins Avenue und dem Meer eine Art Berliner Mauer bildeten.
Es gab zwar Möglichkeiten, sich trotzdem durchzuschlagen, wenn man sich nicht scheute, über ein paar Drahtzäune und Ufermauern zu klettern, oder wenn man eines der Hand voll winziger Strandstücke zu finden wusste, die von den Stadtvätern in aller Verschwiegenheit als »öffentlich« ausgewiesen worden waren. Aber auch wenn man es bis an den Strand hinunter geschafft hatte, konnte man in beiden Richtungen nicht mehr als fünfzig oder
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