Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Nacht sagte der Poolbewacher aus unerfindlichen Gründen keinen Ton, als ich am Pool erschien. Ich begrüßte den
Mann mit einem »Hallo« und machte mich ans Ausziehen. Ich rechnete fest damit, dass er zum Haustelefon an der Säule mitten auf der Terrasse streben würde, wie er es in den anderen Nächten getan hatte. Doch er stand nur da und sah zu, wie ich ins Wasser sprang. Die folgende Dreiviertelstunde verbrachte er damit, mich betont unbeachtet zu lassen … und als langsam der Morgen dämmerte, verscheuchte er sogar ein Videoteam, das versuchen wollte, mich beim Schwimmen im Pool zu filmen. Als man ihn fragte, warum ich dort schwimmen durfte und es ihnen nicht einmal erlaubt sei, auf der Terrasse umherzuspazieren, schüttelte er nur den Kopf und wies mit seinem Gummiknüppel zur Ausgangstür.
Ich hab ihn nicht nach seinen Gründen gefragt. Als ich mich schließlich müde genug fühlte, um schlafen zu können, kletterte ich aus dem Becken und rief »Danke«, bevor ich mit einem Winken nach drinnen verschwand. Er winkte zurück und machte sich gelangweilt auf einen weiteren Kontrollgang über die Terrasse. Kurz darauf sah ich aus meinem Zimmer mit Meeresblick im sechsten Stock nach unten und erkannte ihn an einem Geländer. Er blickte unverwandt übers Wasser in den Sonnenaufgang. Der Gummiknüppel baumelte träge an seinem rechten Handgelenk, und die Polizistenmütze hatte er auf den Hinterkopf geschoben. Ich überlegte, woran er wohl denken mochte: ein junger schwarzer Privatpolizist, vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig Jahre alt, der jede geschlagene Nacht der Woche, und zwar die ganze Nacht von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens, damit verbrachte, für die Einhaltung eines Scheingesetzes zu sorgen, in dem man bei sorgfältiger Lektüre wahrscheinlich nicht einmal den Paragraphen finden würde, dass niemand nachts in einem großen menschenleeren Pool schwimmen durfte, der illegal auf öffentlichem und daher auch seinem Ufergrundstück von den reichen weißen Besitzern eines Hotels in Miami Beach angelegt worden war. Während eines meiner Gespräche mit dem Nachtportier des Doral hatte der angedeutet,
dass die Bestimmung »Schwimmen verboten« eher auf einen Passus in der Versicherungspolice des Hotels zurückging als auf irgendwelche kommunalen Gesetze.
Ich beobachtete den Cop eine Weile und fragte mich, ob George McGovern oben in seinem Penthouse wohl auch zu ihm hinuntersah … wahrscheinlich aber nicht, dachte ich. Es mochte schon sein, dass McGovern sich dort oben aufhielt, aber wenn, dann kniff er wahrscheinlich gerade ein Auge zusammen und spähte durchs Zielfernrohr seiner Weatherby Magnum Flinte, Kaliber 358, die er gerne für die Jagd auf Haie benutzte, übers Meer hinaus. Eine recht seltsame Vorstellung: Der Kandidat der Demokraten bei Sonnenaufgang in Miami, in seinem Penthouse auf den Fenstersims gestützt, mit schweifendem Blick über die morgendliche Dünung Ausschau haltend nach der schmalen grauen Kontur einer Hammerhaiflosse, die mal hier, mal dort die Wasseroberfläche durchschneidet; das Jagdgewehr im Anschlag, den Riemen um den linken Arm geschlungen und eine Bloody Mary neben sich auf dem Tisch, erpicht darauf, den einen oder anderen Hai zu killen, um sich am Morgen seines Triumphs zu zerstreuen und locker zu bleiben.
In der Tat. McGovern war Der Kandidat geworden, und als Seniorkorrespondent im McGovern-Pressecorps fühlte ich eine gewisse Verpflichtung, genau zu wissen, was er zu dieser Stunde tat und dachte. Wie hätte er wohl reagiert, wenn ich ihn da oben angerufen und gesagt hätte, dass ich auf dem Weg sei, in einer Fernsehsendung von NBC zu berichten, dass McGovern die frühen Morgenstunden damit verbracht hatte, von der Terrasse seines Penthouses auf dem Doral Beach Hotel mit einer gewaltigen Weatherby Magnum Haie abzuknallen.
Ich war versucht gewesen, tatsächlich anzurufen, allein um ihn ein bisschen zu triezen und dazu zu bringen, Frank Mankiewicz aus dem Bett zu scheuchen, um schon mal ein Dementi für die Pressekonferenz aufzusetzen, die mit ziemlicher Sicherheit einer so üblen Enthüllung gefolgt wäre … aber ich entschied
mich dagegen. Ich brauchte etwas Schlaf, und wie ich sehr wohl wusste, wäre an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen, hätte ich einen solchen Anruf gemacht. Er hätte bestimmt Ärger verursacht und wahrscheinlich auch zur Folge gehabt, dass man mich öffentlich als gemeingefährlichen Drogensüchtigen gegeißelt hätte, einen Mann, der
Weitere Kostenlose Bücher