Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
und konnte nur auf den Angriff warten, der sicher kommen würde. Täglich trafen neue Ultimaten von der ATF (Alcohol, Tobacco, Firearms) und dem Bezirksstaatsanwalt ein. Sie wollten meine sämtlichen Waffen, und zwar sofort. Oder sie würden mit einem SWAT-Team kommen und sie sich holen. Die Kacke war am Dampfen.
Meine Stimmung wurde in jenen Wochen gefährlich aggressiv. Ich war wütend und einsam und vertrieb mir die Zeit bei Tag und Nacht mit Zielschießen. Meine Freunde sorgten sich, dass die
ständigen Drohungen und die Gefahr, plötzlich gewaltsam zu Tode zu kommen, mir vielleicht den Verstand rauben könnten. Ich war immer bewaffnet und unentwegt mieser Laune, lebte nur von Augenblick zu Augenblick, im Vollrausch meines eigenen Adrenalins. Wenn ich mir Deborahs Fotos aus jener fiebrigen Zeit ansehe, denke ich nur: Teufel auch, ihr gütigen Götter, der Mann ist ein geisteskranker Verbrecher. Das Ganze kommt einem vor wie wild zusammengeschnittene Rückblenden aus »Reefer Madness – Killen macht crazy« und »Die Crays« und »Scarface« und »Boogie Nights«. Bei den Fotos gruselt es mich noch immer.
(Lalia Nabulsi)
Verfluchter Mist. Jetzt hab ich mir schon wieder auf die Zungenspitze gebissen! Wieso bloß? Was habe ich denn heute Abend gegessen, das mich dazu bringt, Blut aus meiner Zunge saugen zu wollen? Wo ist das Percodan? Wo ist Anita? Was ist das für ein Geräusch da in den Büschen? Warum bin ich die ganze Zeit so ausgeflippt?
Es gab eine Zeit, da haben mich solche Fragen irgendwie beunruhigt, aber das war mal. Es gibt manche Fragen, über die macht man sich so lange Sorgen, bis sie schließlich bedeutungslos werden … und es ist immer ungesund, die eigene geistige Gesundheit infrage zu stellen. Frei und froh auf der Straße zu spazieren ist heutzutage ausreichender Beweis für geistige Gesundheit.
Wie kommt es nur, dass seit dem Ende des Amerikanischen Jahrhunderts und der neuerlichen Machtübernahme durch die furchtbare Bush-Familie so viele Menschen den Verstand verloren haben? Warum steigt die Selbstmordrate der Teenager? Ist der Präsident geklont? Wird mein Auto in die Luft fliegen? Warum hat mein Liebling plötzlich am ganzen Körper diese unanständigen Tätowierungen?
(Anmerkung des Herausgebers)
Moment mal! Auszeit! Warum schreibe ich das alles auf dieser primitiven roten elektrischen Schreibmaschine, wenn ich es mir alles in Echtzeit per Mausklick oder Knopfdruck aus dem gottverdammten überlasteten Internet holen könnte? Bin ich denn blöd? War ich all die Jahre im Alzheimer-Sumpf versunken? Was hat es alles zu bedeuten, Homer?
Okay. Zurück zum Thema. Die Geschichte mit dem Riesenstachelschwein verfolgte mich. Um todbringender Gewalt zu entgehen und weiteren fünf Jahren im Gefängnis, war ich gezwungen, mein
hochgeschätztes Smyser-Nazi-Maschinengewehr zu opfern – ich hab es mit einer schweren Flex verhackstückt und die Späne ganz offiziell an die Vertreter von Gesetz und Ordnung ausgeliefert. Verpackt waren sie in einem großen weißen Sack voller giftiger Schmiere, die jedem das Fleisch weggeätzt hätte, der mit ihr in Berührung kam.
Und soweit ich mich erinnere, war es damit getan. Es wurde nie wieder erwähnt, ebenso wenig wie das Stachelschwein. Mein neuer Assistent traf zu Weihnachten ein – vom College für Journalismus und Kommunikation an der Universität von Florida an mich ausgeliehen – und ich machte mich daran, mein lange überfälliges Buch Songs of the Doomed zu beenden, das noch immer nur zur Hälfte geschrieben war – einmal wieder der tödliche Termindruck. Wie immer ärgerlich und überaus quälend …
Weihnachten kam und verging in wahnwitziger Arbeitswut. Der große Schnee fiel, und das Thermometer sank auf über zwanzig Grad minus. Die Demokraten hatten eine weitere Wahl verloren, und Bush war immer noch der neue Präsident. Aber es hatte sich nicht viel verändert seit den achtziger Jahren, als die Plünderung der Staatskasse auf Hochtouren lief und das US-Militär seine frisch antrainierten Geldmuskeln immer öfter spielen ließ; als die Flaggenfetischisten das Sagen hatten, wohin man auch blickte.
Wir marschierten in ein paar winzigen und hilflosen Ländern wie dem Libanon, Grenada und Panama ein, nur so zu Übungszwecken, und das war ungefähr die Zeit, als ich für den San Francisco Examiner des Hearst-Konzerns als Kolumnist zu arbeiten begann, feministische Pornografie entdeckte und mit Maria
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