Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
die Frau im Auge behalten konnte. Gutes Karma im richtigen Moment, und ich trug Maria auf, eine entsprechende Notiz zu machen. Mir war durch und durch warm. »Du Arschloch«, sagte sie. »Schmeiß unsere Karre an! Die Frau geht weiter. Sie überquert den Broadway und wird immer schneller. Jetzt rennt sie schon fast. Mein Gott, sieh sich einer nur diese Wirbelsäule an!«
»Keine Bange«, beruhigte ich sie und langte über den Sitz, um ihren Oberschenkel zu packen. »Verdammt, Süße, was willst du denn mit ihr anstellen?«
»Noch gar nichts «, zischte sie. »Ich will sie erst mal nur ansehen .«
In der Tat. Es war Mittwoch, kurz vor der Abenddämmerung. Die Sonne schien noch hell, das Wasser der Bay war leicht kabbelig, und uns quälten gnädigerweise im Augenblick weder Termine noch berufliche Verpflichtungen. Der Tag war eine jungfräuliche Leinwand. Carpe diem .
Die Geschichte mit Goldstein entwickelte sich schnell und ohne Vorwarnung an einem grauen Nachmittag mitten im April, nachdem wir unser Lunch im Pier 23 halbwegs hinter uns hatten. Es waren nur noch wenige Tage bis zum Prozessbeginn. Wir hatten die allgemeine Hysterie um die »Weltpremiere« von The Grafenberg Spot überstanden, und es war zu keiner Katastrophe gekommen. Es war kein Skandal ausgelöst worden, man hatte niemanden in Gewahrsam genommen, und es waren keinerlei persönliche oder berufliche Tragödien zu verzeichnen. Ich hatte ein paar Mal in der Öffentlichkeit die Nerven verloren und war gegenüber der Lokalpresse ausfallend geworden. Geschenkt! Nett zu sein war nicht mein Job. Schließlich war ich der Nachtmanager des berüchtigtsten Live-Sex-Theaters in Amerika, und mein Job bestand darin, es in Schwung zu halten. Es war schon eine absonderliche Verpflichtung, die ich – auf Gedeih und Verderb – eingegangen war, und wenn ich versagte, brächte es uns vielleicht alle hinter Gitter.
Ganz sicher jedenfalls würde man die Mitchell-Brüder einsperren, und das Theater wäre dann wahrscheinlich mit einem fetten Vorhängeschloss abgesperrt worden, gleich nachdem man das Inventar verkauft hätte, um die Geldstrafen und die Gerichtskosten zu begleichen. Die Anwälte malten ein düsteres Bild von Blamage, Verzweiflung und totaler Arbeitslosigkeit, die auch mich betreffen würde. Wir standen mit dem Rücken zur Wand, wie man so schön sagt. Die Bürgermeisterin Dianne Feinstein, inzwischen Senatorin, war hasserfüllt und nicht in Stimmung, einen Kompromiss zu schließen. Während ihrer zehnjährigen politischen Arbeit hatte sie immer wieder versucht, das O’Farrell schließen zu lassen, und jetzt hatte sie alle auf ihrer Seite, angefangen bei Ed Meese und Gott bis hin zu den militanten Feministinnen und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die Entscheidung sei so gut wie gefallen, hieß es. Kein »Lap Dancing« mehr in San Francisco, auch nicht den Busladungen von Japsen zuliebe.
Ungefähr zu der Zeit, weniger als eine Woche vor dem Prozess, traf Al Goldstein zu einer privaten Vorführung des neuen Films in der Stadt ein. Das war zwar schlechtes Timing, aber nicht zu ändern. Al ist nachweislich einer der ganz Großen in der Sexbranche. Er ist Herausgeber des Magazins Screw , Filmkritiker bei Penthouse und wahrscheinlich der einzige Mensch in Amerika, dessen Urteil einen neuen Sexfilm entweder zum Erfolg machen oder untergehen lassen kann. Penthouse allein verkauft vier Millionen Exemplare zu je $2.95 im Monat, und der gegenwärtige Einzelhandelspreis für nicht jugendfreie Videokassetten beträgt $ 69.95.
Die Hälfte davon streicht der Produzent ein, also ungefähr 3,5 Millionen bei einem Verkauf von 100 000 Kassetten im ersten Jahr – was kein großes Kunststück ist, wenn man auf die vereinte und geballte Unterstützung von Penthouse , Screw und Al Goldstein zählen kann. Wenn also nur ein Prozent der Leute, die Penthouse kaufen, auch eine nicht jugendfreie Videokassette kauft, die von dem Magazin hoch gelobt wird, klingeln wiederum 1,5 Millionen Dollar in der Kasse, die Erträge durch Leihkassetten gar nicht mitgerechnet. Die Erlöse aus dem Einzelhandel dürften doppelt so hoch sein – und das bei einer Investition von nur ungefähr 100 000 Dollar an Produktionskosten und weiteren 100 000 Dollar für Promotion.
Nicht schlecht für ein Produkt, das auch drei beliebige Barmixer aus St. Louis samt ihren Freundinnen in einem Motel auf der anderen Flussseite in Memphis hinkriegen würden. In der Sexindustrie herrscht
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