Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
Unbekannten einen solchen zu vermuten.
Der Geheimnisvolle am Nachbartisch war nun beileibe kein Fürst. Sein Name lautete ganz prosaisch Heinrich Steffen, wenngleich er über einen liebevoll gefälschten Pass verfügte, der ihn als ›Baron von Steden‹ auswies.
Eine familiäre Überlieferung, die eine Liaison zwischen seiner Ururgroßmutter, einer Wäscherin, und dem Großen Kurfürsten behauptete, hatte ihm die Flause in den Kopf gesetzt, sich für einen natürlichen Bruder des jetzigen Königs zu halten. Lange hatte er das eigene Profil mit den königlichen Schattenrissen und Münzenköpfen verglichen und glaubte wirklich, in dem fliehenden Schnitt von Nase und Stirn, die beinahe eine durchgehende Linie beschrieben, eine gewisse Familienähnlichkeit zu erkennen. Gerne steigerte er sich in die Unumstößlichkeit dieses physiognomischen Beweises hinein, bis er das königliche Blut förmlich in sich fließen spürte. Seine Gestalt straffte sich und er war zu allem in der Lage. So plötzlich wie er gekommen war, erhob sich der geheimnisvolle Gast wieder, kaum dass seine Pfeife brannte und das frische Bier vor ihm stand. Nachlässig beglich er seine Schuld, ohne den vollen Krug noch anzurühren, und ging grußlos hinaus. Schlagartig hefteten sich aller Augen wieder auf ihn. Schon klappte die Tür und die Gäste vom Nebentisch schlichen ans freigewordene Fenster. Was sie sahen, ließ sie erleichtert aufatmen. Eine schwarz vermummteDame stand neben dem Pferde des Unbekannten und gebot ihm, ein Stück Weges mit ihr zu flanieren. So hatten sie denn nur den Liebhaber eines vorsichtigen Fräuleins beargwöhnt, das sich zum Treffpunkt dieses entlegene Lokal erwählt. Dem Liebeshungrigen hatten sicher ganz andere Sorgen im Kopfe herumgeschwirrt, als dass er den gezischelten Lautäußerungen am Nachbartisch zuzuhören geneigt gewesen wäre.
Während sie nun beruhigt ihre Köpfe zusammenstecken konnten, ging das Paar draußen in ein – wie es wirkte – höchst vertrauliches Gespräch vertieft auf der holprigen Allee den Wiesen und Feldern am Horizont entgegen. Es herrschte kaum Verkehr an diesem Morgen. Der König war fern der Hauptstadt, und die Zeit für gesellige Ausfahrten schien vorbei. Die Mietkutsche der vermummten Dame folgte den beiden Fußgängern in gebührendem Abstande, so dass sie vor Mitwissern aller Art sicher waren, sofern das am Zügel geführte Pferd des Unbekannten die menschliche Sprache nicht verstand. Übrigens hatte er es im Tiergarten ›gefunden‹, wie er sich über die Aneignung des edlen Tieres beruhigte.
Weit weniger beschaulich und ruhig ging es unterdessen in der Charlottenburger Schlossküche zu. Die Hände des Zweiten Hofküchenmeisters Sr. Königlichen Majestät des Königs in Preußen troffen vor Blut. Langustiers russischer Hilfskoch war gerade dabei, ihm die Zubereitung des viel gerühmten Borschtsch, einer traditionellen Gemüsesuppe seiner Heimat, zu erläutern. Getreulich den Anweisungen folgend, hatte Langustier in der Rolle des Küchenlehrlings gerade einen Kessel voller gekochter roter Rüben enthäutet und die heftig ihren Saft verspritzenden Knollen klein geschnitten. Er strahlte übers ganze Gesicht, obgleich ihm der Schweiß in dickeren Tropfen auf der Stirn stand als bei den anstrengenden Inspektionsgängen des voraus gegangenen Tages. Nur kurz schob sich das Bild von Falckenbergs klaffender Brustwunde über die Schüssel mit dem Blut des edlen Wurzelgemüses. Langustierverscheuchte rasch die momentan unpassende Erinnerung, mit derselben Handbewegung, mit der er sich die zahllosen Fliegen vom Leib hielt. Auf der sonnenbeschienenen Außenwand der Küche des Charlottenburger Schlosses wärmten sich die schwarzborstigen oder grüngoldenen Brummer zu Tausenden und drangen batallionsweise durch die Ritzen der Fenster in den verführerisch duftenden Küchenraum ein, um von Suppen und Saucen ihren Zoll aufzunippen.
Nach Wochen zwangsweiser Enthaltsamkeit konnte sich Langustier erstmals wieder ganz in seinem Element bewegen. In drei riesengroßen Töpfen schmorte das Ergebnis einer weiteren blutigen Schufterei, die bereits hinter ihm lag. Zehn Kaninchen von der Hasenheide, die ihm der Jägermeister von Schlieben persönlich als Einstandsgeschenk überbracht hatte – ein überaus lustiger, für einen Waidmann ungewöhnlich leutseliger Mensch –, waren ausgeweidet und zerlegt worden. Eigentlich hätten sie gut abhängen müssen, aber dazu fehlte die Zeit. In zwei stattlichen
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