Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Ursache. Übrigens mag es sein, dass er klug ist, aber rücksichtslos ist er trotzdem“, stellte ich fest und klopfte ein weiteres Staubwölkchen aus meiner Hose.
„Du musst aber zugeben, dass er in diesem schicken Auto wirklich unglaublich gut aussieht.“ Lianas Blick bekam etwas Sehnsuchtsvolles. „Seine Brüder sind nicht annähernd so attraktiv wie er.“ Ich schüttelte den Kopf über Lianas Schwärmerei und versuchte, das Thema zu wechseln, da ich weder ihr noch mir selbst eingestehen wollte, dass ich zumindest den Bruchteil einer Sekunde, genau dasselbe gedacht hatte.
„Lass uns nach Hause gehen!“, schlug ich vor.
„Geht klar, und übrigens habe ich was Neues für dich, quasi als Belohnung für die Prüfung.“ Sie grinste und fing an, umständlich in ihrer braunen Umhängetasche zu kramen. Schließlich beförderte sie einen MP3-Player zu Tage, den sie mir lächelnd übergab.
„Super, vielen Dank.“ Ich nahm das kleine Gerät entgegen. Liana war der Dealer für meine ganz spezielle Droge. Ich wüsste nicht, wie leer mein Leben ohne Musik wäre, denn Musik berauschte mich, tröstete mich oder leerte meinen Kopf und sie gab mir den absoluten Kick. Jede Stimmung hatte eine Melodie und mein Gehirn hatte eine ganz besondere Beziehung zu jeder. Das war nicht ungewöhnlich, das wusste ich, doch meine Liebe zur Musik ging ein wesentliches Stück weiter als die meiner Klassenkameraden.
Ich ließ mich so sehr darauf ein, dass mein Körper ausgeschaltet wurde. Klick, einfach so. Ich konnte nichts dagegen machen, es war einfach zu stark. Ich versank regelmäßig in diversen Songs, die Gefühle blubberten in großen, bunten Blasen durch meinen Kopf, stiegen, fielen, kribbelten und schmerzten, je nachdem, welches Gefühl die Noten transportierten.
Da mein Körper quasi schlafend zurückblieb, musste ich diesen ganz besonderen Genuss auf die Privatsphäre meines Zimmers beschränken. Die Entdeckung dieser besonderen Fähigkeit im Musikunterricht war einer der peinlichsten Momente meines Lebens gewesen. Ich war fünfzehn und wir hörten gerade Beethovens Mondscheinsonate. Dieses Stück lief genau auf meiner Wellenlänge. Ich war in die Musik eingetaucht wie in Wasser und sah plötzlich Bilder vor mir, die mich mit ihrer Kraft regelrecht erschlugen. Da war der Schein des Mondes, der in einer wolkenlosen Nacht milchig durch ein Fenster fiel. Ich sah auch den Mann, der seine große Liebe verloren hatte und was viel stärker war und mich schließlich in die Knie gezwungen hatte, war, dass ich diesen Schmerz auch fühlen konnte. Es war unendlich peinlich, als mein Kopf auf den Tisch sackte und ich langsam vom Stuhl rutschte. Erst als meine Musiklehrerin den CD-Spieler abgeschaltet hatte und im Begriff war, Erste-Hilfe-Maßnahmen an mir durchzuführen, war ich wieder aufgewacht. Ich hatte geistesgegenwärtig einen Schwächeanfall vorgetäuscht, was für alle eine logische Erklärung gewesen war.
Anfangs hatte ich niemandem davon erzählt, nicht einmal meiner Großmutter. Ich war vermutlich krank, dachte ich, ich hatte von Autisten gelesen, die Farben fühlen konnten und genauso eine Störung musste ich auch haben. Seit dem Vorfall hatte ich immer eine Packung Ohrstöpsel dabei, um nicht wieder unter den Tisch zu rutschen. Meine Mitschüler hatten sich jahrelang über meine Ohnmachtsgeschichte lustig gemacht, bis sie sie endlich vergessen hatten. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den Mut fand, Liana in mein Geheimnis einzuweihen. Entgegen meiner Befürchtung, dass sie mich für abartig halten könnte, war sie total begeistert von der Sache gewesen und brachte mir immer wieder neue Musikstücke mit.
In den letzten beiden Jahren hatten wir viel experimentiert und ich hatte die unglaublichsten Erlebnisse gehabt, von der Weite der Räume, von Farben, Landschaften und natürlich von den depressivsten Gedanken bis hin zu den absoluten Hochgefühlen. Liana versorgte mich regelmäßig mit neuer Musik und ich erzählte ihr im Gegenzug von meinen emotionalen Bilderflashs. Mittlerweile war ich regelrecht süchtig nach Musik. Seit einigen Monaten hatte sich diese Fähigkeit allerdings noch weiter verstärkt. Nur die Richtung, in die sie sich entwickelt hatte, fand ich immer noch beängstigend. Deswegen hatte ich Liana noch nichts davon erzählt.
Ich hatte angefangen Melodien zu hören, wo eigentlich keine sein durften. Es begann mit dem Feuer im Kamin. Das Knacken, Prasseln und Knirschen hatte plötzlich einen Rhythmus und
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