Königsfreunde (German Edition)
Er beugte sich herab und schob seine Arme unter den Körper des Jungen. Dann hob er ihn hoch und fühlte, wie der Knabe in seinem Griff erschlaffte. Marquard trug den Bewusstlosen durch den Weinkeller bis in einen kleinen Nebenraum. Er ging zu einer unscheinbaren Pforte in der Ecke und trat zweimal gegen die Tür. Jemand betätigte einen Riegel von der anderen Seite und zog das Törchen auf. Den Riegel auf der Innenseite hatte Marquard selbst schon in den Morgenstunden geöffnet. Eine gebückte Gestalt in einem Kapuzenmantel huschte herein, ohne Marquard anzusprechen.
»Die Gläser stehen auf dem Tisch. Wirf alles in den See«, sagte Marquard, und die Gestalt murmelte etwas, das er nicht verstand.
Marquard sah sich kurz um, dann schleppte er seinen König im Schatten der mächtigen Mauern durch das Dunkel.
»Marquard«, zischte es aus dem Schatten und er zuckte kurz zusammen. »Hier.«
Petrisas hochgewachsene Gestalt zeichnete sich schemenhaft vor ihm ab. Marquard schlich zu ihr hinüber und gemeinsam hoben sie den schlafenden Jungen auf die Ladefläche des Einspänners, der abfahrbereit auf ihn wartete.
»Fahrt los«, sagte Petrisa. »Wenn der Prinz tot ist, lasst die Taube sofort frei.«
»Ja«, sagte Marquard nur, dann ließ er das Pferd anziehen. Ihm blieb nur wenig Zeit, das sonst streng bewachte Tor zu passieren. Petrisa hatte dafür gesorgt, dass sich die Wachablösung verspätete. Eigentlich konnte nun nichts mehr schiefgehen. Das Schlimmste war erledigt.
Nicht ganz, korrigierte sich Marquard. Noch nicht ganz.
Die Räder des Einspänners rollten über Steine und Geäst, aber Marquard spürte kaum eine Erschütterung. Das Gefährt war äußerst geländegängig und stabil und er kam gut voran. Im Matsch steckenzubleiben wäre eine Katastrophe.
Marquard roch den Duft von Tannennadeln, Moos und schwarzer Erde. Rechts und links an seinem Wagen hingen Öllampen, die schwaches Licht verbreiteten, aber die Nacht war klar und der Mond fast voll. Er konnte den Weg vor sich auch so erkennen.
Seit über zwei Stunden fuhren sie nun, und Marquard hatte mehrmals den Impuls übergangen, anzuhalten und nach dem König zu sehen. Aber jetzt musste er es tun. Und nicht nur das. Der König würde bald aufwachen und Marquard wollte alles vorher erledigen. Leider hatten ihm seine Gedanken immer wieder Gründe geliefert, noch ein wenig zu warten.
Marquard nahm die Zügel an und das Pferd blieb artig stehen. Für diese Fahrt hatte er ein bewährtes, unerschrockenes Tier ausgewählt.
Marquard drehte sich herum und stieg dann auf die Ladefläche, wo der ehemalige Prinz unter alten Decken verborgen lag. Der Gedanke, dass der Junge während der Fahrt unter all dem Stoff erstickt sein könnte, kam ihm ganz plötzlich und erschreckte ihn. Marquard angelte nach der Laterne und das Licht fiel auf den Lumpenhaufen. Vorsichtig zog er die Stofflagen beiseite. Es war ganz großer Unsinn, dass ihn die Vorstellung, einen Toten aufzudecken, so belastete. Schließlich war er hier, um das Leben des Jungen zu beenden.
Ein blasses, junges Gesicht kam zum Vorschein, und Marquard suchte nach Anzeichen dafür, dass der Knabe noch lebte. Der Lichtschein erhellte das Dunkel aber nur unzureichend. Er konnte nichts Genaues erkennen. Schließlich legte er seine Hand zögerlich auf die Brust des Schlafenden und dann spürte er ein sanftes Heben und Senken. Er atmete.
»Teufel auch«, entfuhr es Marquard. Er ärgerte sich. Aber worüber? In ihm herrschte das Chaos und er konnte sich nicht die Zeit nehmen, alles in Ordnung zu bringen. Er stand mitten im Wald und es musste getan werden. So einfach war das.
Marquard stellte die Lampe ab und kniete sich neben den Jungen. Er zog ein Messer aus seinem Gürtel. Sein König war nicht der erste Mensch, von dem diese Klinge kosten durfte. Eine schnelle Bewegung und es wäre vorbei. Ein Kehlenschnitt, ein Stich ins Herz ...
Marquard sah die Klinge im Mondschein glänzen. Sie sah kalt aus, aber wenn er sie berührte, würde er die Wärme spüren. Er hatte sie am Körper getragen.
Der junge König tat einen tiefen Atemzug, den Marquard hören konnte. Vielleicht ließ die Wirkung des Schlafmittels nach. Er musste jetzt endlich handeln. Für einen Kehlenschnitt lag sein Opfer in einer ungünstigen Position. Marquard legte das Messer kurz beiseite. Er umfasste den Kopf des Schlafenden. Die weiche Wange des Jungen lag in seiner Handfläche, als er ihn umbettete. Ein leises Seufzen löste sich aus der Kehle
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